Was ist eine Phi­lo­so­phi­sche Le­bens­be­ra­tung?

Hin und wieder werde ich gefragt, was das sei „Philosophische Lebensberatung.“ Nun, die Philosophische Lebensberatung in der Philosophischen Praxis etabliert sich als Alternative zur Psychologie, zur Therapie und zum Coaching.

Ich zitiere am besten Dr. Gerd Achenbach, den Gründer der Philosophischen Praxis:
„Sie ist eine Einrichtung für Menschen, die Sorgen und Probleme quälen, mit ihrem Leben nicht zurechtkommen oder meinen, sie seien irgendwie steckengeblieben; die von Fragen bedrängt werden, die sie weder lösen noch loswerden; die sich in der Prosa ihres Alltagslebens zwar bewähren, in vorerst unbestimmter Weise aber unterfordert fühlen – weil sie etwa ahnen, dass ihre Lebenswirklichkeit nicht ihren Möglichkeiten entspricht. In der Philosophischen Praxis melden sich Menschen, denen es nicht genügt, nur zu leben oder bloß durchzukommen, die sich vielmehr Rechenschaft zu geben suchen über ihr Leben und sich Klarheit zu verschaffen hoffen über dessen Kontur, sein woher, Worin, Wohin. Ihr Anspruch ist nicht selten, einmal über die besonderen Umstände, die oftmals sonderbaren Verstrickungen und den seltsam uneindeutigen Verlauf ihres Lebens nachzudenken.
Kurz: Sie suchen die Praxis des Philosophen auf, weil sie verstehen und verstanden werden wollen. Dabei ist es fast nie die Kantische Frage: „Was soll ich tun?“, die sie bewegt, häufig hingegen die Frage Montaignes – und die lautet: „Was tue ich eigentlich?“ Dabei mag im Hintergrund die älteste philosophische Weisheit als Einsicht vorhanden sein, die Maxime des Sokrates nämlich, wonach nur ein geprüftes Leben lebenswert sei. Womöglich meldet sie sich als schemenhafte Befürchtung, ein bloß hingelebtes Leben sei im emphatischen Sinne ein nicht wirklich gelebtes Leben, ein vertanes, irgendwie verpasstes, zerstreutes, um sich selbst gebrachtes Leben.

Und Schopenhauer meint: „Die Meisten werden, wenn sie am Ende zurückblicken, finden, dass sie ihr ganzes Leben hindurch ad interim gelebt haben, und verwundert sein, zu sehn, dass Das, was sie so ungeachtet und ungenossen vorübergehen ließen, eben ihr Leben war, eben Das war, in dessen Erwartung sie lebten. Und so ist dann der Lebenslauf des Menschen, in der Regel, dieser, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tode in die Arme tanzt.“

Die Philosophische Reflexion kann gerade demjenigen wie eine Verheißung erscheinen, der erkennt, dass die philosophische Haltung zum Leben eine respektvolle Überforderung ist. Damit verleiht sie unserem Dasein aber Gewicht und unserer Gegenwart Sinn.
Die Anlässe, durch die der Gast der Philosophischen Praxis das Gespräch mit mir sucht, sind sehr unterschiedlich: Enttäuschungen, Rückschläge, Schicksalsschläge, Erlebnisse des Scheiterns, das Gefühl, nicht in seinem richtigen Leben zu sein, der Umgang mit Leiden, Sorgen und Problemen, und immer wieder Fragen der Beziehung zu sich selbst und zu anderen.
Sir Karl Popper bestimmte die Aufgabe der Philosophischen Praxis, noch bevor es sie gab: „Wir haben alle unsere Philosophien, ob wir dessen gewahr werden oder nicht, und die taugen nicht viel. Aber ihre Auswirkungen auf unser Handeln und unser Leben sind oft verheerend. Deshalb ist der Versuch notwendig, unsere Philosophien durch Kritik zu verbessern. Das ist meine einzige Entschuldigung dafür, dass es überhaupt noch Philosophie gibt.“ 
 

Es geht natürlich nicht darum, dem Gast der Philosophischen Praxis Sokrates oder andere Philosophen an den Kopf zu werfen, sondern darum, ihm auf seinem Weg weiterzuhelfen. Der Besucher oder die Besucherin wird auch nicht mit klugen Worten abgespeist, oder mit Theorien bedient. Meine Herausforderung als Philosophischer Praktiker ist es, ob ich mit meiner Philosophischen Ausbildung, Lektüre, Lebenserfahrung gelernt habe, auch im abweichenden, ungewöhnlichem, Denken, Empfinden, Urteilen heimisch zu sein, ob ich auf diesem Wege ein Sensorium für das sonst Übersehene erworben habe. Nur so kann der Gast zu anderen Einschätzungen, Perspektiven, Haltungen und Einstellungen des Lebens und seiner Umstände bewegt werden.

Ist das nicht Sache der Psychologen und Psychotherapeuten? Wie kann die Philosophische Praxis von den Psychotherapien abgegrenzt werden? Nun: Der psychologische Blick ist darauf trainiert, das Besondere, Spezielle in spezieller Weise wahrzunehmen – der Psychologe und Psychotherapeut ist Spezialist - der Philosophische Lebensberater ist Spezialist fürs Nichtspezielle, sowohl fürs Allgemeine und Übersichtliche (auch für die reiche Tradition des schon vernünftig Gedachten), ebenso aber fürs Widersprüchliche und Abweichende und mit besonderem Nachdruck: fürs Individuelle und Einmalige. In der Philosophischen Praxis wird der Gast ernst genommen als der einzige, der er ist. Kein Maßstab befindet sich über ihn, auch nicht der einer Gesundheit, sondern die Frage ist, ob er oder sie sich angemessen lebt – mit Nietzsches berühmt gewordenem Wort: Ob er wurde, der er ist.

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