Aris­to­te­les oder der Anfang aller Wis­sen­schaft

Impuls

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Aristoteles (384-322 v.Chr.) wurde 15 Jahre nach dem Prozess geboren, der Sokrates zum Tode verurteilte (399 v.Chr.). Er war ein Schüler von Platon, und gleichzeitig ein Gegenspieler von ihm. Ganz grob kann man sagen, dass Platon ein Idealist war, dem es um die Erfassung der Ideen ging (Ideenlehre), während Aristoteles als Empiriker bezeichnet werden kann. Er suchte nach umfassender Weltkenntnis und sah die Wissenschaft als zuständig für das Ganze. Obwohl er schon einzelne Wissenschaftsdisziplinen schuf (Rhetorik, Metaphysik, Logik, Politik, Ethik, Poetik, Ökonomie), sah er doch noch die Welt, im Gegensatz zur modernen Wissenschaft, im Zusammenhang. Er legte mit seinem Denken, was es heißt zu Argumentieren, zu Schließen, Begriffe zu bilden und vor allem mit seiner Denkhaltung, die Grundlage der Wissenschaft. Er war bis in die Neuzeit die geistige Autorität  für das, was als Wissenschaft zu gelten hatte.

Was durch Aristoteles neu in die Welt gekommen war, kann man sich am besten durch Gegenfiguren klar mache. Bei Sokrates, Diogenes, Nietzsche, oder Rousseau beispielsweise, ist die Lehre mit ihrer Person und ihren Erlebnissen verknüpft. Aristoteles trat, wie man es bis heute von jedem Wissenschaftler verlangt, in den Dienst der Wissenschaft, d.h. er war ein nüchtern, sachgemäß arbeitender Kopf, der die die Studienobjekte sammelte, einordnete, klassifizierte und näher bestimmte. Seine Person trat hinter seiner Forschung zurück. Er hatte eine Bibliothek und referierte zuerst immer, was man denn über den zu untersuchenden Gegenstand schon weiß. Er würdigte das Bestehende und setzte sich kritisch damit auseinander. Auf diese Art und Weise wird Wissenschaft noch heute betrieben.

In seiner Nikomachischen Ethik geht er zuerst darauf ein, wie die Leute so denken, dann zeigt er Widersprüche und die Schwächen der bestehenden Ansichten auf.

Was folgt daraus für die Wissenschaft? Zuerst einmal die Idee des Fortschritts. Wissenschaft ist ein Prozess, ist in Bewegung, man bezieht sich auf das Bestehende und entwickelt es weiter. Dann ist Wissenschaft eine Theorie, der Wissenschaftler ist Theoretiker, der aus der Betrachtung und Beobachtung der Dinge eine Theorie aufstellt. Es geht um Wissen und Erkenntnis ohne Nutzen und Zweck. Um Wissen um des Wissens willen. Das ist für Aristoteles ein ganz wichtiger Punkt. Im Unterschied dazu ist der Handwerker, der Praktiker, der weiß, wie es geht, auf Wissen zum Gebrauch und Nutzen aus.

In seiner Metaphysik schreibt er: „Es ist klar, dass wir die Wissenschaft nicht um eines anderen Nutzens willen suchen; sondern, wie unserer Meinung nach der ein freier Mensch ist, der um seiner selbst und nicht um eines anderen willen lebt, so ist auch diese Wissenschaft als einzige von allen frei; ist sie doch allein um ihrer selbst willen da.“

Die Voraussetzung der Wissenschaft ist also die Freiheit. Sie ist von allen Nutzen und Zwecken abgekoppelt. Wie aktuell und uneingelöst dieser Gesichtspunkt heute ist, zeigt sich an einer Vielzahl von Beispielen.

Nehmen wir ein sog. wissenschaftliches Gutachten über die Atomkraft, erstellt von Atombefürwortern, oder die sog. wissenschaftliche Forschung in der Pharmaindustrie, die nur dort forscht, wo ein Massenmarkt ist, wo also nur dort geforscht wird, wo es bezahlt wird. Oder nehmen wir die Entwicklung von den Universitäten zu Fachhochschulen, die Menschen für die Wirtschaft ausbilden. Der humboldtsche Gedanke einer Universität als Ort der Forschung und Wissenschaft um ihrer selbst willen betrieben, also freie Wissenschaft, ist damit demontiert.

Aristoteles spricht im oben genannten Zitat auch den freien Menschen an, der um seiner selbst lebt. Insofern machen sich die meisten Menschen heute zum Sklaven, wenn sie fragen, wofür bin ich gut, wozu kann man mich gebrauchen? Die Instrumentalisierung von einem selbst ist heute Allgemeingut geworden.

Aristoteles ist der Auffassung, das die freie Wissenschaft ein neues Menschenbild notwendig macht: Den Menschen als freies Wesen, der an sich nach Wissen strebt, weil er wissen und verstehen will. Um seiner selbst willen, ohne Zweck und Nutzen. Eben das unterscheidet ihn vom Tier.

Das eigentlich dem Menschen gemäße ist somit der theoretische Mensch. Man kann die theoretische Haltung, wo der Mensch als Schauender sich das Getriebe der Welt ansieht, vom Konsumenten, dem es um Bedürfnisbefriedigung, und dem Produzenten, dem es um Kaufen und Verkaufen geht, abgrenzen. Für Aristoteles fängt der Bürger erst dort an, wo sich der Mensch aus seiner Konsumenten - oder Produzentenrolle befreit.

Wissen ohne Zweck und Nutzen ist den Menschen schon immer suspekt gewesen. Sehr schnell kann man damit Unverständnis ernten. Was bringt denn das, sind dazu noch die harmlosen Fragen. Aber die oben genannten Beispiele zeigen deutlich, das erst die Zwecklosigkeit die Wissenschaft auszeichnet. Die wissenschaftliche Haltung ist seit Aristoteles frei, theoretisch, betrachtend, kontemplativ. Hegel, in der Nachfolge von Aristoteles bemerkt dazu: „ Der Mensch ehrt sich selber, wenn er im rechten Geist Wissenschaft betreibt.“

Auch wenn es heutigen Ohren ein bisschen haarig klingen mag: Indem die freie Wissenschaft den letzten Gründen und Ursachen nachgeht, das Dauerhafte sucht, ist diese freie Wissenschaft letztendlich Gottesdienst. Der freie Wissenschaftler will die Logik (Logos) Gottes verstehen. Kann man vielleicht überspitzt behaupten, dass ein Gutteil der heutigen Wissenschaft deshalb die Logik des Mephistopheles umtreibt?

Ein aktuelles Beispiel aus der Ökonomie sei noch erwähnt. Für Aristoteles ist das größte Verbrechen die spekulative Anhäufung des Geldes, die durch den Zins verursacht wird. Wenn Geld sich in Ware  verwandelt, selbst zum Konsumgut wird, dann zerstört das die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft. Die Ursachen unserer Finanzkrise wurden von Aristoteles schon vor fast 2.500 Jahren erkannt.

Zweckfreie Wissenschaft kann, so gesehen, letztendlich dann auch einen Nutzen bieten: Den guten und gerechten Staat. Und wenn der einzelne aufgrund von Einsichten handelt, und aus seiner Freiheit heraus (ohne Zweck und Nutzen) sein Leben zu verstehen versucht, dann kann das ein Schritt hin zu einem guten Leben sein.

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