Das Phi­lo­so­phie-Projekt: Grund­sät­ze der Stoa

Impuls

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Ich habe mir etwas wahrscheinlich Verrücktes vorgenommen. In lockerer Folge werde ich  einen Gang, eine Reise, zu den maßgeblichen Stationen des philosophischen Geistes unternehmen. Nicht in ordentlich universitär philosophiegeschichtlicher Art und Weise, sondern ich werde den praktischen Philosophen und Philosophien entlocken, was diese unserem gegenwärtigen Zeitalter und uns postmodernen Menschen zu sagen haben. 

Beginnen will ich in diesem Newsletter mit den Stoikern.

Alles was bedeutend ist, hat die Vorurteile gegen sich, so auch die Stoa. Es heißt, sie atme die Ruhe des Betulichen und habe eine Nähe zum erbaulichen Kalenderspruch. In Wahrheit ist die Stoa gerade das nicht. Ganz im Gegenteil stellt sie eine kaum mehr zu überbietende Überforderung für den Menschen dar. Ihr Ideal ist der Weise oder die Weisheit. So wie im Christentum die Heiligkeit eine Überforderung darstellt, so auch das Ideal der Weisheit in der Stoa. 

Die Stoa ist auch kein Trostpflaster für enttäuschte Manager. In letzter Zeit konnte man folgende Buchtitel lesen: „Ruhig Blut mit Marc Aurel, Seneca für Manager, Epiktet in 90 Minuten.“ Das Kennzeichen der Stoa ist, das sie gerade keine Kenntnisse im Vorübergehen liefert. Es geht ihr nicht ums Wissen, sondern um ein Tun. 

Ein erster unzeitgemäßer Grundsatz der Stoa lautet: Arbeit an sich selbst. Gerade das kann man sich nicht durch Lektüre aneignen. Es geht um die Frage wer wir sind oder wer wir wurden. Wie sehr waren wir daran beteiligt, wer wir wurden? Sind wir gelebt worden, oder leben wir? Was ist unser Auftrag, unsere Bestimmung? Der Stoa ging es nicht darum, theoretisch herauszufinden, was  das Gute ist, sondern: Wie werde ich gut? Nicht die Philosophie war ihr wichtig, sondern philosophisch zu leben. Einer der größten Kritiker der Stoa, Arthur Schopenhauer, konnte nicht umhin zu bemerken: „Die vollkommenste Entwicklung der Vernunft. Der stoische Weise habe durch Vernunft den höchsten Gipfel, den man als Mensch erreichen kann, erreicht.“ Und Kant bewunderte an den Stoikern die „Hoheit und Stärke der Seele.“

Die Stoiker wollten Leben und Denken in Übereinstimmung bringen. Ihre Frage war: Lebe ich so, wie ich denke? Montaigne, der ein großer Anhänger der Stoa war, wird diese Frage umdrehen: (Be)denke ich, wie ich lebe?

Ein zweiter unzeitgemäßer Grundsatz kommt von Epiktet: „Verdaue zuerst die Lehrsätze, dann brauchst du dich nicht übergeben; andernfalls werden sie dir in der Tat nur zu einem Brechmittel und zu einer unverdaulichen Sache. Aber ob du sie verdaut hast, das wird sich an einer Veränderung deines Wesens erweisen.“ Epiktet kommt es also eher auf eine Verdauungsfähigkeit (auch all der Themen und Informationen, die auf uns einströmen) als auf Intelligenz an. Erst was man lange mit sich herumgetragen hat, und zu etwas Eigenem geworden ist, kann zu einer nachhaltigen Veränderung unseres Wesens werden.

Ein dritter Grundsatz lautet: Worauf es ankommt. Man könnte auch sagen, was wichtig ist, was wert hat. Die klare Antwort der Stoiker: Auf dich kommt es an. Das ist keine Empfehlung zum Egoismus oder Narzissmus, auch keine Lebenserleichterung. Wir sollen mit uns über uns hinaus kommen, damit wir zu uns kommen. Niemand ist noch da, wo er hingehört, nämlich da, wo er sich feinsten Gewissens begegnen kann. Für dich kommt es auf dich an. Auf uns stolz sein, uns anerkennen, uns ins Auge sehen zu können. Ein Einverständnis mit uns selbst erreichen. Aber: Nicht mit uns zufrieden sein. Ein Einverständnis mit uns selbst. Der Stoiker setzt sich selbst als höchstes Ziel. Er ist sich gleichzeitig fern und nah. In dieser Spannung des Einverständnisses und des gleichzeitigen Unterwegssein zu etwas Besseren, darf man sich selbst würdigen. Marc Aurel schreibt in seinen Selbstbetrachtungen: „Was einen Menschen nicht schlechter macht, als er ist, macht auch sein Leben nicht schlechter.“ Es geht eben nicht darum, dass es mir gut geht, sondern, dass ich gut bin. Die Lage oder die Umstände dürfen mich nicht schlecht machen. Ist es nicht so, das man oft in Notlagen merkt, mit wem man es zu tun hat? Es kommt darauf an, Menschen zu treffen, die das Unglück nicht schlechter macht, die nicht schlecht werden, wenn die Umstände schlecht sind. Dahinter steckt ein stolzes Menschenbild. Stolz zu sein auf das, was man aus sich machen möchte. Dazu bedarf es natürlich der Tugenden, allen voran des Mutes und der Stärke. Um gut zu sein, bedarf es der Stärke. In diesem Zusammenhang schreibt Marc Aurel den sperrigen, aber heilsamen Satz: „Unglück mutig zu ertragen, ist Glück.“ Hat nicht schon mancher, dadurch das er eine schwere Krankheit erträgt, gerade in diesem Ertragen Glück erlebt?

Ein vierter Grundsatz lautet: „Du musst vor dir selbst, nicht vor der Menge bestehen.“ Die Stoiker waren extrem kritisch gegenüber der Meinungen der Masse. Für sie hatte die Masse meistens nicht recht. Man soll die Meinung über sich nicht gering achten. Wer denkt wie die anderen ist gedankenlos. Dafür zahlt man oft einen hohen Preis. Man zahlt sich selber drauf. Seneca rät uns, „nicht nach der Art des Herdenviehs zu laufen, oder nichts nach dem Gerede der Menge zu geben.“ Eine „Heilung“ sahen die Stoiker nur durch die Absonderung von der großen Masse.

Der nächste Grundsatz kommt wieder von Epiktet: „Was uns Menschen beunruhigt, sind nicht die Dinge, sondern die Urteile über die Dinge.“ Hier geht es um die Korrektur unserer Urteile und Einschätzungen. Die deutsche Sprache ist hier sehr genau. Wenn jemand sagt, ich mache mir Gedanken oder Sorgen, wer macht sich dann Sorgen? Wir selbst machen uns unruhig.

Von Epiktet stammt auch der nächste Grundsatz: „Wolle, was geschieht.“ Für uns auf das Machen und Beherrschen Getrimmte eine unglaubliche Provokation. Eine wahnsinnige Zumutung. Das Anerkennen fällt uns schwer. Aber es geht nicht um ein fatalistisches Hinnehmen, sondern um eine Anerkennung dessen, was notwendig ist. Nietzsche hat diesen Grundsatz später „amor fati“ (liebe dein Schicksal) genannt. Wenn wir es näher betrachten, sind wir denn wirklich nur die Macher, oder immer auch die Getriebenen? Wir sind verstickt in die Maßnahmen. Die Welt ist nicht nur bloßer Gegenstand, sie sagt uns etwas, hat ein Mitspracherecht. Die Stoiker hatten eine andere Weltsicht. Für sie war der Kosmos und die Welt geordnet. Alles hing mit allem sinnvoll zusammen. Seneca schreibt: „ Wenn du einwilligst, dann führt dich dein Schicksal, wenn nicht, dann zwingt es dich.“

Das waren einige unzeitgemäße, sperrige, aber doch, wie ich meine, heilsame Grundsätze der Stoa. Wer näher an der Stoa oder an anderen Meistern des unabhängigen Denkens interessiert ist, der mag in den Studienkurs „Philosophische Praxis“ kommen, der jeden Fr von 10-13 Uhr in der Philosophischen Praxis „Verrückt nach Sokrates“ stattfindet. Die Verdauungsfähigkeit wird beim Philosophischen Frühstück, jeden Mi von 9-11 Uhr geübt.

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