Epiktet ein ehe­ma­li­ger Sklave, der freieste Mensch

Impuls

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Epiktet war Repräsentant eines stolzen Menschenbildes. Er lebte von 50-120 n. Chr. Zu einer Zeit also, wo sich das Christentum begann auszubreiten. Der Stolz wurde sehr schnell als Todsünde und eitle Anmaßung des Menschen verworfen. Dieser Stolz, sein Leben selbst zu gestalten, die Freiheit, die eigene Meinung restlos zu behaupten, die eigentliche Freiheit, war für die Christen ein rotes Tuch.

„Verlange nicht, dass alles, was geschieht, so geschieht, wie du es willst, sondern wünsche dir, dass alles so geschieht, wie es geschieht, und du wirst glücklich sein.“

Epiktet
Philosoph

Vielleicht ist es nicht klug, mit einem Grundsatz von Epiktet zu beginnen, der sogleich den stärksten Widerspruch auslöst. Dieses „Wolle, was geschieht“, und die Gleichgültigkeit gegenüber Dingen, die nicht in unserer Macht stehen, die uns von Epiktet geraten wird, ist für uns eine unglaubliche Provokation, eine wahnsinnige Zumutung, eine nicht mehr zu überbietende Überforderung. Wir verbinden damit die reinste Anpassung, Fatalismus und Resignation. Doch das ist nicht gemeint. Dieser Grundsatz trifft in das Mark der Philosophie. Es drückt sich darin die innerste Zustimmungsfähigkeit, das Anerkennen dessen, was notwendig ist, aus.

Heute steht das Machen, das Beherrschen, das Verändern auf der Tagesordnung. Das Anerkennen fällt schwer. Aber das Beherrschen hat eine Dialektik. Das was wir beherrschen, beherrscht auch uns. So geht es dem Gefangenenwärter, der selbst festsitzt, weil er auf den Gefangenen acht geben muss. Die Beherrscher, die Macher sind Getriebene. Wir spielen mit dem, was mit uns spielt.

 Warum ist aber dieser Grundsatz Epiktet´s zeitlos revolutionär? Weil sich darin die Haltung der eigentlichen Freiheit ausdrückt. Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Revolution im arabischen Raum. Die Tyrannen, ob sie Mubarak oder Gaddafi heißen, hatten die politische Macht. Diese war aber abhängig von der Zustimmung des Volkes. Gaddafi saß noch so lange im Sattel, solange er seine Elitetruppen zum Gehorsam überreden konnte. In dem Augenblick, als diese ihm die Gefolgschaft verweigerte, gab es keinen Tyrannen mehr.

 Die Bedingung der Freiheit lautet: Alle politische Macht wirkt durch die Geister auf die Geister. Die Armeen sind Armeen durch die Meinungen. Was es heißt, wenn der Geist umschlägt, hat man 1989 beim Niedergang der UdSSR erlebt.

Epiktet war Repräsentant eines stolzen Menschenbildes. Er lebte von 50-120 n. Chr. Zu einer Zeit also, wo sich das Christentum begann auszubreiten. Der Stolz wurde sehr schnell als Todsünde und eitle Anmaßung des Menschen verworfen. Dieser Stolz, sein Leben selbst zu gestalten, die Freiheit, die eigene Meinung restlos zu behaupten, die eigentliche Freiheit, war für die Christen ein rotes Tuch.

Wer die eigentliche Freiheit, die Freiheit des eigenen Urteils lebt, ist nicht mehr erpressbar. Auch nicht von Tyrannen. Den Körper können diese töten, aber sie haben keine Gewalt über unser Urteil. Das ist für Epiktet der Hort der Freiheit.

„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie.“

Epiktet
Philosoph

Wer war dieser Epiktet? Er wurde als Sklave verkauft, schließlich freigelassen. Diese Freilassung war für ihn noch nicht die eigentliche Freiheit, denn man kann durch und von sich selbst versklavt sein. Man hat noch eine sklavische Seele, wenn man in den entscheidenden Lebensmomenten sich selbst nicht treu bleibt. Epiktet steht in der Tradition der Stoa, die die grundlegendste philosophische Frage, nämlich, worauf es ankommt so beantwortet: Auf dich. Damit wird weder eine Empfehlung zum Narzissmus oder Egoismus, noch zu einer Lebenserleichterung gegeben. Für die Stoiker kam es in erster Linie darauf an mit uns über uns hinaus zu kommen, auf uns stolz sein zu dürfen, uns selber Freund sein zu können. Im Einverständnis mit uns selbst zu leben. Epiktet griff die christlichen Gedanken seiner Zeit auf, ohne selbst Christ zu sein. Er untersuchte zum Beispiel, welche Konsequenzen aus der Verwandtschaft des Menschen zu Gott zu ziehen sind. Er kommt zu dem Schluss, das, wenn wir ein Stück Gottes in uns haben, wir uns Weltbürger, Bürger des Universums, ja Sohn Gottes nennen dürften. Er fragt, „warum sollte sich so jemand vor dem fürchten, was unter den Menschen geschieht“? Wie ist die Haltung eines Menschen, der wirklich mit den Göttern verwandt ist? Epiktets Vorbild dafür ist Sokrates, der die Lebensform lebte, die ihm von Gott aufgetragen wurde. Die bleibende Aktualität ist eine Freiheit des Geistes, der sich nicht einsperren lässt. Denn das eigentliche Gefängnis ist, wenn wir da sind, wo wir nicht sein wollen.

So wie wir die Natur und die Welt betrachten, so sehen wir uns letztendlich selbst. Die moderne Naturwissenschaft ist auf Naturbeherrschung aus. Die Welt wird als bloßer Gegenstand gesehen, die uns zu Diensten zu sein hat.  Die Versklavung der Natur schlägt auf uns zurück. Wer die Natur nicht frei sieht, kann sich in der eigenen Freiheit nicht erkennen. Epiktet und die Stoiker hatten eine andere Weltsicht. Sie wussten, das sie sich selbst zu verstehen hatten, um die Natur zu verstehen. Die Natur hatte ihnen etwas zu sagen, hatte ein Mitspracherecht, einen inneren Zusammenhang, eine innere Notwendigkeit. Wer ein solches Natur- und Weltverständnis hat, der versteht, das es unmöglich ist, das etwas anderes geschieht, als es geschieht. Es geschieht, was geschehen soll. Was wir bräuchten, wäre eine veränderte Haltung zu uns und der uns umgebenden Welt. Epiktet wäre ein guter Lehrmeister dafür.

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