Zu sich selber kommen – Gedanken zur Selbst­ver­wirk­li­chung

Impuls

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 Im Mittelpunkt der modernen Gesellschaft steht die Selbstverwirklichung. Sucht man nach einer Definition, dann liest man (Wikipedia), das es um die Realisierung der eigenen Ziele, Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse gehe, und das eigene Wesen bestmöglich zur Entfaltung zu bringen sei. 

„Der wahre Beruf des Menschen ist, zu sich selber zu kommen“

Hermann Hesse
Schriftsteller

Man solle, so lautet die Forderung, tun, was man für richtig hält. Dazu genüge es, in sich hineinzuhören, auf seine innere Stimme zu achten, um heraus zu finden, was man möchte.

Der bekannte Soziologe Ulrich Beck bemerkt sarkastisch dazu:

„Besessen von dem Ziel der Selbstverwirklichung reißen die Menschen sich selbst aus der Erde heraus, um nachzusehen, ob ihre eigenen Wurzeln auch wirklich gesundsind.“

Ulrich Beck
Soziologe

Selbstverwirklichung scheint gerade nicht das endlose Kreisen um seine eigenen Befindlichkeiten zu sein. In der Geschichte kann man zwei große Traditionen feststellen. Die eine geht auf Rousseau zurück, der behauptete, der Mensch sei ursprünglich bei sich selbst, nur die Umstände entfremden ihn von sich selbst, und er müsse wieder zu sich selbst finden. Die andere (antike) Vorstellung, geht davon aus, dass wir uns völlig fremd sind und erst allmählich zu uns selbst kommen.

Die rousseausche Vorstellung, dass der Mensch sich nur von seinen Selbstentfremdungen befreien müsse, um zu sich selber zu kommen, ist uns sehr vertraut. So glaubt man, nicht zu sich selbst zu kommen, weil  man sich im falschen Beruf, oder in der falschen Beziehung wähnt. Der richtige Beruf oder der richtige Partner warte eben noch auf einen. Dahinter steckt die Überlegung, man brauche sich nur „vom Falschen“ befreien und müsse das Selbst in der Ferne finden können.

„ Während die sonstigen Reisenden (des Lebens) in der Ferne zu sich selbst zu kommen versuchen, wenden sich die Philosophierenden dem Naheliegendsten – ihrem eigenen Verstehen und Nichtverstehen – zu, um einen Abstand gegenüber sich selbst zu gewinnen…. Etwas Reiseliteratur ist dabei durchaus unentbehrlich.“

Martin Seel
Philosoph

Reiseliteratur kann die Philosophie mit ihren klassischen Texten, aber auch die Literatur mit ihrem „Durchspielen der menschlichen Möglichkeiten“ durchaus bieten.

In der Tat geht es bei der Selbstverwirklichung darum, sich selbst zum Thema zu werden, d.h. aber, „einen Schritt hinter sich selbst zurückzutreten und einen inneren Abstand zum eigenen Erleben aufzubauen.“ (Peter Bieri). Um zu sich selbst zu kommen bedarf es eines Abstandes zu sich selbst.

Selbstverwirklichung beginnt damit, sich sein Leben bewusst zu machen, sich selbst mit seinem Leben bekannt zu machen. Um zu mir selbst zu kommen, brauche ich Distanz, erst dann komme ich in ein Verhältnis mit mir selbst und beginne, mich in mir selbst auszukennen. Selbstverwirklichung beginnt also damit, sich in seinem eigenen Denken zu orientieren und seine Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen.

Am tiefsten hat Hegel über das Problem des zu sich selbst kommen nachgedacht. Er meinte, die einzige Möglichkeit, beim anderen und bei sich selbst zu sein, biete die Liebe. Nur in der Liebe meint der jeweils andere ihn selbst. Nur in der Liebe bin ich für den anderen unersetzbar, ich selbst bin gemeint und keine Eigenschaften oder Verdienste. Nur ein anderes Selbst kann mich letztendlich zu mir selbst bringen.

In der heutigen Zeit erfahren wir dagegen oft die Austauschbarkeit, sowohl im Beruf als auch in der Partnerschaft. Nicht ich bin gemeint oder werde gesucht (Partnersuche im Internet), sondern Eigenschaften.

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