Der Mensch der Nein­sa­gen­kön­ner oder der ewige Pro­tes­tant gegen alle bloße Wirk­lich­keit

Impuls

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Für Max Scheler, den Klassiker der philosophischen Anthropologie,  besteht die Sonderstellung des Menschen in seiner Fähigkeit, Nein zur Wirklichkeit sagen zu können: „Mit dem Tiere verglichen, das immer Ja zum Wirklichen sagt – auch da noch, wo es verabscheut und flieht-, ist der Mensch der Neinsagenkönner, der Asket des Lebens, der ewige Protestant gegen alle bloße Wirklichkeit.“

Mit dem Neinsagenkönnen kann sich der Mensch beispielsweise gegen die eigenen Interessen und für Überzeugungen und Werte entscheiden, für die er steht, auch wenn er dadurch Benachteiligungen zu erleiden hat. Das entscheidende Prinzip, das ihm das ermöglicht, ist der Geist. Als geistiges Wesen ist der Mensch nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern weltoffen. Er kann Ideen denken, sich zum Beispiel einen Begriff machen von Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, Seligkeit und Verzweiflung. Er kann sich gegen das eigene Leben entscheiden, Nein sagen zur eigenen Natur. Der Mensch kommt grundsätzlich von sich selber los, er kann sich aus der Sich eines anderen sehen. Er ist nicht nur Teil dieser Welt, sondern hängt zwischen Diesseits und einem Jenseits.

Dass der Mensch von Natur nicht festgelegt ist, macht ihn zu einem „unwahrscheinlich riskierten Wesen“ (Arnold Gehlen). Er kommt schwach auf die Welt, muss alles erst lernen, kommt mit Irren erst zur Wahrheit. Es ist, als ob die Natur mit ihm ein Wagnis eingegangen wäre: Freigelassen aus seiner Schöpfung, um Vernunft und Freiheit zu lernen, muss er sich erst eine Welt schaffen, um sich heimisch zu fühlen. Aber keine Heimat ist endgültig. Der Mensch, das unbestimmte Wesen, kommt nie zur Ruhe. Sein Wesen ist eine natürliche Künstlichkeit. Er ist auf eine natürliche Weise künstlich. Er hat sich noch nicht. Er muss erst werden. Er ist das Wesen, das über sich nachdenkt, der seine Beziehung zur Umwelt zum Problem machen kann. Sein riskiertes Wesen, seine höchste Gefährdung verurteilen ihn dazu, sein Leben zu führen. Aber das macht auch sein Person sein, seine Freiheit aus: „Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes.“ (Scheler).

Seine Weltoffenheit, die sich aus seiner Instinktreduktion ergibt, muss von jeher von Kultur und Bildung geregelt werden. Institutionen und Traditionen übernehmen Entlastungsfunktionen. So wurden in jeder Kultur die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen Alten und Jungen und zwischen den Lebenden und den Toten geregelt. Daraus ergibt sich natürlich die Notwendigkeit, eines pfleglichen Umganges mit den kulturellen Errungenschaften (Arnold Gehlen). Wir sehen gerade dieser Tage, wie leicht der Mensch wieder zum Barbaren verkommen kann.

Die Riskiertheit seines Wesens erlebt der Mensch in „Antriebskatastrophen“ (Gehlen), wenn er nicht weiß, wohin er mit seinen Energien soll. Wir erleben das an Jugendlichen, die an sich und der Gesellschaft zu verzweifeln beginnen. Der Mensch ist auf Kultur angewiesen, um nicht zu primitivisieren. Kultur ist eine nicht nachwachsende Ressource. Kulturen sich nicht beliebig erneuerbar. Das Chaos droht ständig hochzukommen. Der Mensch bleibt ein riskiertes Wesen.

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