Was heißt den Menschen ein Mensch zu sein Über Begegnungen der besonderen Art
Impuls
Noch ein Beispiel für den Unterschied zwischen Fachmann und Mensch, wie er in der Philosophischen Praxis zum tragen kommt. Der Fachmann (z.B. Arzt, Psychiater) behandelt Krankheiten. Der philosophische Praktiker begleitet bei der Bewältigung von Krankheiten. Überspitzt formuliert: „Wo der Arzt nichts mehr tun könne, sei der Philosoph gefragt.“ (Odo Marquard).
Oder nehmen wir z.B. ein Ehe- oder Partnerschaftsproblem. Ein Scheitern einer Beziehung passiert sehr oft deshalb, weil die Partner denken, wie sie denken. Aber die strittige Frage zwischen den Eheleuten ist, ob die Ehe eine Ansichtssache ist oder nicht, ob ihr eine Geltung zukommt, die über die Subjekte entscheidet. Die meisten Probleme sind geistige Probleme, die sich aber psychisch oder körperlich auswirken.
Wer in die Philosophische Praxis kommt, will verstanden werden. Das aber ist nicht an eine Disziplin gebunden, ja, diese kann das Verstehen geradezu verhindern. Es geht darum, herauszufinden, welches Verstehen für einen bestimmten Menschen entwickelt werden muss, auf welche Weise dieser besondere Mensch verstanden werden muss.
In der Philosophischen Praxis geht es darum, das Gewordensein einer sogenannten Lebenswirklichkeit anzusehen. Wie versteht sich ein Mensch selber? Über diese oft als Selbstverständlichkeit gesehene Tatsache soll aufgeklärt werden. Das Ungewusste (nicht das Unbewusste), das noch nicht Begriffene, das Übersehene soll bewusst gemacht, auf Alternativen aufmerksam, der Blick geweitet werden.
In der Philosophischen Praxis herrscht die Überzeugung, dass der Mensch nicht das Wesen ist, das einfach nur lebt, sondern das sein Leben führt. Daher kann man die Vielzahl der menschlichen Probleme als Probleme der Lebensführung sehen. Was heißt es aber, sein Leben sinnvoll zu führen? Wie erwirbt man die nötige Lebensführungskompetenz? Bei diesen Fragen waren seit jeher die praktischen Philosophen behilflich. In der Philosophischen Praxis findet eine Beziehung der besonderen Art statt, weil es, wie in einer guten Freundschaft, um den anderen selbst geht. Den anderen als er selbst zu meinen, schafft den Freiraum dafür, jeden Inhalt zuzulassen. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Gespräch entstehen.