"Es begab sich aber zu der Zeit" Versuch, das zur Zei­ten­wen­de gewordene Ereignis zu verstehen

Impuls

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Die großen Vorhersagen zur Zukunft der Religionen sind nicht eingetroffen. Gott ist nicht tot, die Welt hat sich nicht säkularisiert. Grund genug, auch für nichtfromme Gemüter, sich Gedanken zu machen zu dem Ereignis, das wir mit dem Begriff Weihnachten bezeichnen. Was feiern wir da eigentlich? Was ist der Festanlass?

Was verstehen wir heute noch unter Weihnachten? Was davon ist wichtig für uns?

Die Christen feiern die Geburt des Nazaräners, der später der Heiland genannt wird. Die Datierung der tatsächlichen Geburt, ob 4 v. Chr. oder 7 n. Chr. scheint nicht so wesentlich wie die Tatsache, dass eine neue weltgeschichtliche Perspektive damit in die Welt gekommen ist, die weltweit auch säkular anerkannt ist. Der Gedanke einer Zeitenwende ist erst Jahrhunderte später aufgekommen, das Bewusstsein von Weltgeschichte erst in der Neuzeit. Mit dem Christentum kam der Gedanke in die Welt, dass die Zeit nicht mehr zyklisch in einem Kreislauf erfolgt, sondern einer weltgeschichtlichen Ersteckung unterliegt, einem Ziel zustrebt.

Das Ziel der Geschichte ist Christus. Damit dieser Gedanke in die Welt kommen konnte, musste Gott Mensch werden. Gott selbst hat damit auf seine Allmächtigkeit verzichtet. Der Philosoph Schelling schrieb dazu: „Zur Allmacht Gottes gehört, auf die Allmacht zu verzichten, damit wir in seine Fußspuren kommen.“ Die Macht Gottes wurde zur Ohnmacht. Weihnachten liefert eine geradezu unfassbare Legende: Jesus wird in Bethlehem von einer einfachen Magd geboren und in einen Futtertrog gelegt. Josef war nicht sein Vater. Er war Zimmermann in Nazareth, der Stadt, aus der nichts Gutes kommen kann, wie wir aus dem Johannes-Evangelium erfahren.

Alles für damalige Verhältnisse ein Skandal und für uns Heutige noch immer unfassbar. Gott liebt das Schwache und das Machtlose. Von Kant bis Schleiermacher wird Gott daher als der „ganz Andere“ genannt. Radikale religiöse Querdenker und Verrückte wie Franz von Assisi und Johannes vom Kreuz wurden immer wieder von dieser Geburtsgeschichte angezogen. Die Erniedrigung Gottes bestand in seiner Fleischwerdung. Das brachte eine Revolution im Denken mit sich. Nicht der Starke und Mächtige hat recht. Die Vergessenen und Übersehenen zählen. Es geht nicht um Erfolg. Gott steht auf der Seite der Opfer und der Ausgegrenzten. Der Mensch ist in seiner Schwäche stark, in seiner Ohnmacht mächtig. Ein völlig neues Verhältnis zu Gott entsteht. Wir werden ins direkte Verwandtschaftsverhältnis Gottes aufgenommen. Gott wurde Mensch, damit wir Kinder Gottes werden. Das ist der tiefe Sinn der Menschwerdung Gottes und damit von Weihnachten. Thomas Mann sagte, Gott glaubt an uns. Weihnachten bedeutet, es gibt keine Unterwerfung mehr unter einen eifersüchtigen, grausamen Gott, der die Vernunft zutiefst kränkt. Ein Willkürgott, der Gewalt, Macht und Sieg verherrlicht, wird nicht mehr akzeptiert. Eine Gehorsamsbeziehung wie noch im AT wird zu einer liebevollen Verständigungsmöglichkeit zwischen Gott und Mensch. Ein Gott, der nicht Frieden will und sich für die Unterdrückten einsetzt, passt nicht mehr zu uns. Weihnachten bedeutet auch, wir sollen den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes und unseres Gewissens zu bedienen. Auch in religiösen Fragen. Alles andere wäre ein unmündiges Christentum. Der Glaube braucht Vernunft. Vernunft braucht den Glauben. Weihnachten bedeutet auch, dass es keine Religion mehr geben darf, die den Menschen unterwirft. Wir sind zu Freunden Gottes geworden.

Weihnachten heißt aber auch, Erlösung des Menschen aus seiner schlechten geistigen Verfassung. Lebt der Mensch aber nicht in einem Schlummer, die ihn die Notwendigkeit seiner Erlösungsbedürftigkeit nicht erkennen lässt?

Weihnachten ist die Geburt des Erlösers. Aber, so fragt der Zeitgenosse, muss ich erlöst werden? Wovon soll ich erlöst werden? Geht es um eine politische Erlösung im Äußeren, oder im Inneren? Weihnachten bedeutet nicht nur eine Zeitenwende, auch das Bild des Menschen von sich selbst veränderte sich. Für Hegel ist mit Weihnachten „ein anderer, höherer Geist“ in die Welt gekommen: „Dieser höhere Geist enthält die Versöhnung und die Befreiung des Geistes, indem der Mensch das Bewusstsein vom Geiste in seiner Allgemeinheit und Unendlichkeit erhält.“ Der Mensch ist nur dann frei, wenn er die Weihnachtsgeschichte annimmt. Seit Christus sind alle frei, aber diese Freiheit muss erst noch realisiert werden. Die Menschwerdung Gottes macht den Menschen frei. Für das Christentum ist es das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Gott ward Mensch, damit wir Himmelskinder werden. Ein neuer Wahrheitsanspruch trat mit Weihnachten in die Welt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit  und das Leben.“ Das überbietet alle abstrakte Philosophie. Der Logos ist Fleisch geworden, die verkörperte Wahrheit. Nicht das Ende objektiver Wahrheit ist damit gekommen, sondern die Philosophie ist nur noch interessant, die mit einem „Ich“ daherkommt. Philosophen sollen keine Denkmaschinen sein, sondern Philosophie aus Fleisch und Blut verkünden. Es kommt auf den Philosophen an, nicht auf die Philosophie. Es kommt darauf an, wer wir selber sind. Auch das ist die Bedeutung von Weihnachten.

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