Sokrates wusste, was wichtig ist, oder: Worauf es ankommt

Impuls

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Die Philosophen empfinden Stolz, Trost und Beschämung zugleich darüber, dass es einen solchen Ahnherrn wie Sokrates gegeben hat.  Mit ihm kam Unglaubliches in die Welt eine tiefe Erschütterung, aus der eine erhabene Kultur hervorging. Die große abendländische Kultur hat sich an dem Einen orientiert. Laut Jaspers gehört Sokrates, neben Jesus, Konfuzius und Buddha, zu den vier maßgeblichen Menschen. Beschämt mögen wir sein, weil wir weit hinter seinem Vorbild zurückbleiben.

Platon schildert uns diesen Sokrates, wie er sich vor dem Athener Gericht im Jahre 399 v. Chr. verhalten hat. Dieses Verhalten muss Platon tief erschüttert und beeindruckt haben. Die „Apologie des Sokrates“, der Platon beiwohnte, hat ihm die folgenden Erkenntnisse vermittelt, die auch wir bedenken sollten: In gewissen Fällen können alle irren und einer die Wahrheit sagen. Was heute wahr sein mag, kann morgen schon der Lüge überführt werden. Die für die Wahrheit zuständigen Instanzen können irren. Sokrates wird von drei Personen angeklagt, die ihm vorwerfen, die Jugend zu verderben und neue Götter eingeführt zu haben. Der angeklagte Sokrates führt in seiner Verteidigungsrede den Grundkonflikt jeder Gesellschaft vor. Was soll gelten, der Erfolg oder die Wahrheit? Er trat damit gegen die Rhetoriker und Sophisten auf, wie die heutigen Berater in Politik und Wirtschaft. Das hat eine geradezu unheimliche Aktualität. Man denke auch an die Talkshows und Diskussionen, in denen der Inhalt zweitrangig ist, wenn nur die Einschaltquoten und der Unterhaltungswert garantiert sind. Für Sokrates gab nicht der Erfolg und die Wirksamkeit den Ausschlag, sondern ob eine Sache recht und richtig ist. Heute geht es genauso um die Wirksamkeit, nach dem Guten und Richtigen fragt kaum jemand mehr.

Wieso hat Sokrates so viele Menschen, nicht nur die Ankläger, gegen sich aufgebracht? Das ist kein Zufall. Er beschäftigte sich ausschließlich mit dem, was von der großen Masse abwich. Das erregt Ärgernis – bis heute. Abzuweichen genügt, um der Masse verdächtig zu sein. Sokrates gibt sein Anderssein zu, aber er hat seine guten Gründe dafür. Er folgte seiner Mission, die eigentlich eine Umwertung der Werte bedeutete. Vor Sokrates musste sich alles rechtfertigen, auch wenn es im Ansehen stand. Kant nannte das später den „Gerichtshof der Vernunft“, vor dem alles zu bestehen hatte. Hier könnte sich ein Einwand gegen Sokrates breit machen: Vieles besteht gerade deshalb, weil es nicht geprüft und untersucht wurde. Auch die guten Traditionen.

Die offizielle Anklage gegen Sokrates lautete auf Ehrfurchtslosigkeit, respektlose Kritik, Sophisterei und Untergrabung des Staates. Sokrates hat dies in der Tat alles begangen. Er war nicht harmlos, er war nicht nur der verkannte reine Philosoph. Die Athener haben ihn völlig zu recht verurteilt. Eine ähnliche Tragik ereilte den Nazaräner mit den Juden. Die alte Sittlichkeit musste sich wehren. Eine von Werten bestehende Kultur wehrt sich prinzipiell gegen den Geist des Aufbruchs. Für diesen stand Sokrates. Der Einzelne solle alles prüfen und selbst entscheiden, ob es vernünftig, gut und wahr ist.

Das eigentlich Vorbildliche von Sokrates liegt in seiner Haltung. Mit dieser zeigt er uns, worauf es im Leben letztendlich ankommt. Es geht um die gute Sache und nicht um Reichtum oder Ansehen. Da wird niemand widersprechen jeder Gehandelt wird aber dann meistens anders. Sokrates aber war es ernst damit, mit einem Ernst, den jeder, der nachdenkt und sich besinnt, nachempfinden kann. Er lehrte die Menschen, auf sich aufmerksam zu sein. Sein zentraler Satz lautete: Dem besseren Menschen kann vom schlechteren kein Schaden zugefügt werden. Die eigentliche Revolution die sich dahinter verbirgt: Es ist schlimmer, Unrecht zu tun, als Unrecht zu leiden.

Dieser Satz ist die eigentliche Innovation des Sokrates. Das ist bis heute gute europäische Tradition geworden. Wenn dieser Tage wieder nach der europäischen Identität, nach dem europäischen Wir gefragt wird, dann ist das Ereignis Sokrates eine Antwort darauf. Das muss Platon im Prozess verstanden haben. Diese Erkenntnis krempelte sein Leben um und ließ ihn zum Philosophen werden.

Aufgabe der Philosophie seit Sokrates ist ein Weckdienst, ein Aufwecken aus der Gleichgültigkeit, ein Nachdenken darüber, was wichtig ist, oder worauf es ankommt. Sokrates stand mit seinem Leben und Sterben für seine Grundsätze und Prinzipien. Die Sorge um eine möglichst gute Seele war ihm wichtiger als Geld, Ehre und Ansehen.  Indem er den Menschen ins Gewissen redete, gut und vernünftig zu werden, dafür zu leben und zu sterben, war seine Mission. Seine letzten Worte waren:

„Doch jetzt ist´s Zeit fortzugehen: für mich, um zu sterben, für euch, um zu leben. Wer von uns dem besseren Los entgegengeht, ist uns allen unbekannt – das weiß nur Gott.“

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