"Wie viel ist genug"? Ge­nüg­sam­keit statt Un­er­sätt­lich­keit

Impuls

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John Maynard Keynes schrieb 1928 am Höhepunkt der Wirtschaftskrise einen Essay und kommt darin zu dem erstaunlichen Schluss, die Menschheit stehe unmittelbar vor dem Punkt, „ihr wirtschaftliches Problem zu lösen“. Der Kampf um die  nötigen Bedürfnisse, der Kampf ums Dasein, könne schon bald gekämpft sein. Dann stelle sich aber der Menschheit eine neue Aufgabe, nämlich was sie denn mit der nun zur Verfügung stehenden Zeit anfangen werde. Was dafür gebraucht werde, sei ein neuer Mensch, der eine höhere Perfektion der Lebenskunst kultiviere und den Überfluss genießen könne. Er schließt seinen Essay mit der Hoffnung, dass die Wirtschaft zur Nebensache werde und der Mensch die Jagd auf ein endloses Wachstum als unsinnig einsehen werde. Hier irrte Keynes leider.

Wir arbeiten keineswegs weniger, obgleich der Reichtum zugenommen hat, und mit ihm, die unbegrenzten Bedürfnisse, die uns von einem guten Leben wegführen. Tatsächlich sind wir, trotz unseres weit größeren Reichtums, heute weiter von einem guten Leben entfernt, als das die Menschen in der traditionellen Gesellschaft zu Keynes Lebzeiten waren. Der Kapitalismus hat beispiellose Fortschritte in der Erzeugung von Reichtum ermöglicht, aber uns zugleich der Fähigkeit beraubt, diesen Reichtum auf zivilisierte Weise zu nutzen. Wie kam es, dass wir am Ende uns in einem Fortschritt ohne Zweck verstrickten und ohne Sinn Reichtümer zu erwerben uns bemühen? Die Gründe sind vielfältig und werden im Rahmen dieser Veranstaltungen zu erörtern sein. Aber eines kann man den ökonomischen Wissenschaften anlasten: Sie haben das Studium des Menschen so, wie er wirklich ist, und nicht so, wie er sein sollte, betrieben. Das ist das eigentliche Problem. Die wertneutrale Sprache, die mit Begriffen wie Nutzen und Präferenz operiert, macht den faustischen Handel des Kapitalismus notwendigerweise unsichtbar. Es ist wesentlich, daran zu erinnern, was diese Moderne verdrängt hat. Sie hat verkannt: Das Begehren des Menschen vermehrt sich automatisch, es sei denn, es wird durch moralische Disziplin in Schach gehalten. Der Hedonismus führte naturgemäß zum Konsumismus. Den vormodernen Denkern wäre es niemals in den Sinn gekommen, die Gewinnsucht von ihren moralischen Fesseln zu befreien. Selbst Epikur, der Erzhedonist, war der Meinung, dass Genuss am besten zu erreichen sei durch Unterdrückung aller überflüssigen Begierden, einschließlich der Gier nach Reichtum. Kurz und gut: Das Versagen des modernen Zeitalters lässt die alten Weisheiten in einem freundlichen Licht erscheinen. Es geht darum, die Weisheiten und Ideen des guten Lebens aus dem Dunkel von Jahrhunderten der Vernachlässigung und Verzerrung zu bergen. Von dort taucht zuerst Aristoteles auf. Nach ihm ist ein gelungenes Leben nicht einfach eines der erfüllten Begierden, sondern das angemessene Ziel des Begehrens. Es geht nicht darum, was die Menschen wirklich wollen, sondern was sie vernünftigerweise wollen sollten. Es geht auch nicht darum, wie wir von den Alten denken, sondern darum, wie wohl die Alten von uns dächten, wenn sie uns zusehen müssten. Was würden Aristoteles und die anderen antiken Philosophen zu unserer heutigen Misslage sagen? Aristoteles hätte wahrscheinlich unsere Verfassung als moralischen und politischen Wahnsinn betrachtet. Die Moderne und ihre Leitwissenschaft, die Wirtschaftswissenschaften haben nahezu alle Grundlagen zur Einschätzung des guten Lebens getilgt, so die Idee der Genügsamkeit, die einmal als Tugend galt. Welche geistigen, moralischen und politischen Ressourcen sind in den westlichen Gesellschaften noch vorhanden, um den Großangriff der Unersättlichkeit zurückzuschlagen und das Ziel eines guten Lebens wieder in den Mittelpunkt unseres Strebens zu rücken? Was kann die Habgier der Menschen in die Schranken weisen?

 

 

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