Das Leiden, das Böse und eine andere Art des Trostes

Impuls

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Ist man schon lebensverneinend, ein unverbesserlicher Pessimist, oder gar ein notorischer Jammerer, wenn man feststellt, dass es auf der Welt mehr Schmerzen und Leiden gibt, als uns lieb ist? Niemand redet mehr von unserer Welt als ein „Jammertal“, das passt nicht in unsere „keep smiling“- Zeit. Aber man braucht nicht Auschwitz oder  den Archipel Gulag bemühen, um die Welt ein Jammertal zu nennen. Ein Blick auf Syrien, die Kriege in Afrika, das Flüchtlingselend genügt. Vom persönlichen Leid einzelner ganz zu schweigen.

„Optimismus und Pessimismus sind oberflächliche Weltanschauungen. Die Wahrheit über das Leiden ist paradox“, schreibt Robert Spaemann. Die Religionen lehren das Leid zu bekämpfen und gleichzeitig es anzunehmen und es zu ertragen. Gerade damit tut sich unsere Zeit schwer. Gegen das Leiden muss unter allen Umständen etwas unternommen werden, seine Ursachen müssen ausfindig gemacht werden. Das Programm der Moderne lautet demnach, Leiden nicht zu erdulden oder hinzunehmen, sondern abzuschaffen. Nur eine Welt ohne Leiden sei eine humane Welt. Aber daraus folgt, dass das Leiden, das sich nicht aus der Welt schaffen lässt, sinnlos erscheint, oder an unserem Versagen liegt. Der Leidende sieht sich als Opfer. Er versteht sein Schicksal nicht. Leiden wird zum sinnlosen Schicksal.

Falsch ist nicht der Kampf gegen das Leiden, sondern die Illusion, es abschaffen zu können. Mit der Illusion der Abschaffung wird der Mensch aber davon abgeschnitten, sich in ein Verhältnis zum Leiden zu setzen. Der Leidtragende ist heute ein Leidbetroffener. Statt der Klage herrscht die Anklage, die Empörung und Entrüstung.  

Aber kann Leiden selbst einen Sinn haben? Schmerzen haben einen Sinn, wenn sie als Signal der Bedrohung verstanden werden. Der Schmerz wird zu einem Leiden, wenn ich ihm gegenüber ohnmächtig bin. Welchen Sinn soll die Erfahrung des sinnlosen Leidens haben? Sollten wir nicht lieber doch die Leidfreiheit anstreben? Das aber geht nicht. Die Erfahrung des Sinnlosen ist nur dann sinnlos, wenn es das Sinnwidrige (das Leiden, das Böse) nicht gäbe. Wenn es das aber doch gibt, sollte man es dann nicht erfahren, oder kennen lernen, anstatt ihm bewusstlos ausgeliefert zu sein?

Das Buch Hiob führt uns eine Geschichte des sinnlosen Leidens vor. Alles was Hiob wertvoll war, wird ihm plötzlich entrissen: Seine Gesundheit, seine Güter, seine Kinder. Er klagt über sein Schicksal. Die Freunde Hiobs warten mit Erklärungen und Ursachenzuschreibungen auf. Irgendetwas wird Hiob schon falsch gemacht haben. Sie wollen ihn mit ihren frommen Reden trösten. Demgegenüber beharrt Hiob auf seinem guten Gewissen und darauf, dass er sich keines Fehlers bewusst sei. Er hält an seiner Gerechtigkeit fest. Im Buch Hiob wird allen menschlichen Erklärungsversuchen eine Absage erteilt. Wir wissen letztendlich nicht, warum Hiob, oder andere unschuldige Menschen leiden müssen. Was aber bleibt dann? Der Umgang mit dem Leiden. Das Aushalten des Leidens. Im besten Fall wären Hiobs Freunde ihm in seinem Leiden beigestanden. Was macht den Menschen und sein Leben aus? Was kann man aus dem Leiden lernen? Dass es nicht nach unseren Wünschen geht. Leiden ist die Durchkreuzung unseres Willens. Dass es im Leben immer wieder darum geht, was uns abverlangt wird. Das Tragen von Leid macht letztendlich unsere Würde aus. Religiös gesprochen: Leiden läutert. Es war schon eine existentielle Erkenntnis von Sokrates, dass Unrecht leiden besser ist als Unrecht tun. Am Leiden führt kein Weg vorbei, aber vielleicht ein Weg hindurch. Im Leiden begegnet der Mensch seinem eigentlichen Schicksal, der Gläubige seinem Gott. Im Leiden muss sich der Mensch dem stellen, worauf es eigentlich im Leben ankommt. Auf das geistige Tragen des Leidens.

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