Denker am Rand "Woanders als am Rand soll man leben?"
Impuls
Botho Strauß steht exemplarisch für den Denker am Rand. Ein solcher war auch Nietzsche, Gomez Davila oder der Zeitgenosse Byung Chul Han. Ihr Hauptthema ist die Zeitverfassung, tiefgründige Kritik an der modernen Gesellschaft. Der Denker am Rand hat es schwer in seiner Einsamkeit, aber je weniger geboten wird, umso mehr lädt das Wenige sich mit Bedeutung auf. Der Denker am Rand, der Außenseiter ist, ist umso aufmerksamer, je reduzierter er lebt. Je angefüllter wir sind (Infotainment), desto problematischer. Wir leben unser Leben in ständiger Ablenkung. Der Denker am Rand erinnert uns daran, dass nur das transportiert wird, worin die meisten übereinstimmen. Die wenigen, die es anders sehen, werden nicht registriert oder sie werdenverhöhnt und verlacht.
„Der ästhetische Urfehler ist der Plurimi-Faktor (plurimi lat. Die Meisten): das Hohe zugunsten des Breiten abzuwerten. Das Untere zur obersten Interessensphäre zu machen. Das Breite zur Spitze zu erklären. Inzwischen paktiert auch die Kunst liebdienerisch mit Quote und breitem Publikum.“ (Botho Strauß).
Die Einsamkeit, in der sich der Denker am Rand befindet, schärft die Sinne und die Erinnerung. Das Erinnerte wird zum Bestandteil des Lebens, indem auf Aktuelles verzichtet wird. „Außer dem Aktuellen ist alles andere lebendig.“ „Was neu hinzukommt wiegt das Gewesene nicht auf“, heißt es bei Botho Strauß. Dies ist auch die Kernstimmung bei Nietzsche. Wir leben aber im genauen Gegenteil: Das Neue ist immer interessanter. Je mehr Zukunft desto besser.
Wie verhält sich der Denker am Rand dazu? Er weiß, das was ist, könnte auch anders sein, er lässt aber dem Falschen seine Zeit: „Nur wer nicht verändern will, sieht richtig.“ (Botho Strauß). Indem man sagt, wie es ist, gibt man zu erkennen, das man nicht einverstanden ist. Die korrekte Darstellung ist die Kritik.
Der Denker am Rand ist kein Konservativer. Seine Überzeugung ist, dass die große Zeit hinter uns liegt. Wir haben wenig Erhaltenswertes, leben daher von unserer Erinnerungsfähigkeit.
„Man muss seiner Herkunft begegnen“ (Botho Strauß), indem man dort hinblickt, wo das wahre Leben ist und das ist dort, wo man herkommt.
Jetzt ist der technische Überbau so gewaltig, das nur noch Innovationen gelten. Wir haben ständig Neuerungen im Internet, aber keine Internetphilosophie.
Der Denker am Rand erinnert uns daran, was die Höhe einer Kultur ausmacht: Indem ich anerkenne, was über mir liegt. Stattdessen lässt jeder die andauernde Kommunikation durch sich hindurchfließen. Wir sind informierte Menschen. Informiertheit ist zur Sucht geworden. Außerhalb der Informationen gibt es keine Gedanken.
„Wo anders als am Rand soll man leben?“ (Botho Strauß). Es gibt Hoffnung. Die Welt hält es auf Dauer im Falschen nicht aus. Aber alles, an das der Denker am Rand erinnert, empört die Spaßintelligenz. Dazu gehört auch das Transzendente oder das Theologische. Wer nimmt noch den Gedankenreichtum der Theologie und der Philosophie wahr? Kaum wird dieser in die intellektuelle Auseinandersetzung gebracht. Denker am Rand führen ein intellektuell risikoreiches Leben.
Botho Strauß zum Abschluss:
„Ich bin Transporteur, kein Neuerer. Vielleicht bringt heute der Transporteur die Neuigkeit.“
„Die meisten Neuerungen betreffen den Komfort und führen bei den Menschen zu einem Zugewinn an Kaltschnäuzigkeit.“
„Wer sich an technischen Neuerungen berauscht, ist ein Schwachkopf. Wer sich ihrer zu bedienen versteht, ist ein Alltagsmensch, aus dem noch einmal etwas Besonderes werden könnte wie zu allen Zeiten.“
„Früher gab´s mehr von dem, was war. Heut gibt´s zuviel von dem, was wird.“
„Das Genaue ist das Falsche. Das Genaue ist haloabschneidend. Es lässt den Hof, den Nimbus nicht zu. Unsere Lebenssphäre ist das Vage und das Ungefähre.“
„Was Gott ins Verborgene setzte, hütet der Denker am Rand und schützt es vor den Übergriffen der zentraldemokratischen Heilsformel Transparenz, Öffentlichkeit, Aufklärung.“
„Die Zeit drängt – doch nur den Laufenden. Den Stillstehenden drängt sie nicht. Um ihn versammelt sie sich.“
„Ein Mensch kann nie so hässlich sein wie das meiste, was er so denkt.“
Weltanschaulicher Optimismus hat kaum einen Denker und nur wenige Dichter hervorgebracht. Pessimismus die meisten. Die größten Entwürfe freilich entstanden jenseits von beiden.“