"Größe ist, was wir nicht sind" – Jacob Burck­hardt

Impuls

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Jakob Burckhardt, der vor 200 Jahren geboren wurde, formulierte den Gedanken, dass uns der Begriff von Größe abhanden gekommen sei. Es herrsche die tyrannische Macht des Gleichheitsgedankens. Geht es uns nicht auch heute so, dass wir Größe schwer anerkennen können, dass uns alles zu groß erscheint, was nicht so klein ist, wie wir selbst? Besteht nicht unser Ausgangspunkt darin, zu behaupten, es darf keine Größe geben, alles habe klein zu sein? Auf der anderen Seite ist wieder eine Anfälligkeit des Massenmenschen für starke Männer zu beobachten, damit verbunden eine Unterwürfigkeit und das Bedürfnis der Berauschung am großen Mann. Jakob Burckhardt schrieb prophetisch dazu:

„Ganze Völker können auf diese Weise ihre Erniedrigung suchen. Auch auf die Gefahr hin, das ihnen spätere Generationen nachweisen, das sie falsche Götzen angebetet haben.“

Burckhardt unterscheidet zwischen Größe und Macht. Für ihn ist die Macht an sich böse, egal wer sie ausübt. Macht muss sich immer weiter bemächtigen, um sich als Macht zu bestätigen. Dagegen hat echte Größe keine Scheu, sich auch als klein auszugeben.

Alle Völker haben in ihren Größen, daran erinnert Burckhardt, ihren besten historischen Besitz erkannt und sich daran orientiert. Was aber ist Größe genau?

Größe ist ein Mysterium? Nur das Unerklärbare ist groß, schwer bestimmbar und niemals eindeutig. Zur Größe gehört weiters Einzigkeit und Unersetzbarkeit.

„Kein Mensch ist unersetzlich, aber die Wenigen, die es doch sind, sind groß“ (Burckhardt)

Der von Nietzsche sehr geschätzte Ralph Waldo Emerson hat in seinen „Repräsentanten der Menschheit“ folgende Menschen als Große angeführt:

Platon - der Philosoph, Swedenborg – der Mystiker, Montaigne – der Skeptiker, Shakespeare – der Dichter, Napoleon – der Weltmann, Goethe – der Schriftsteller.

Er nannte diese Großen unsere Erlöser, die uns vor unseren Zeitgenossen schützen.

Ein wunderbarer Gedanke und Motivation dafür, sich mit Großen zu beschäftigen: Die Großen sind dazu da, uns vor unseren Zeitgenossen zu schützen, denn sie bilden die Ausnahmen, die wir bei aller Gleichmacherei suchen. Eine Geistesgröße ist das Gegengewicht zum Zeitgeist.

Jakob Burckhardt zählt die großen Entdecker und Erfinder nicht zu den Großen, weil ihre Entdeckungen und Erfindungen letztlich von jemand anderem gemacht worden wären. Hier kommt es nicht auf die Person an. Aber niemand hätte für Platon, Sokrates, Buddha oder Jesus eintreten können, die von Jaspers als die vier maßgebenden Menschen bezeichnet wurden.

Große setzen ein neues Maß, sie beschreiben ein neues Verständnis des Menschen zu sich und zur Welt. Niemand hätte die Werke von Augustinus, Luther, Platon, Aristoteles so schreiben können, wie sie von diesen geschrieben wurden.

Größe hatten auch die Religionsstifter. Durch sie wurde das Metaphysische für tausende Jahre lebendig in den Völkern. Jakob Burckhardt dazu:

„Sie finden ihre Religion nicht durch ein Durchschnittskalkül, das auf kaltblütiger Betrachtung der sie umgebenden Menschen beruht, sondern das Ganze lebt in ihrer Individualität mit unwiderstehlicher Gewalt.“

So änderte Augustinus das stolze Menschenbild der griechischen Philosophen dahingehend, dass sich der Mensch fortan in seinen Abgründen wahrnehmen konnte. So änderte Luther eine ganze Weltanschauung durch die Wegräumung der Werkgerechtigkeit.

Große sind „weltgeschichtliche Individuen“ (Burckhardt) oder „welthistorische Individuen“ (Hegel). In ihnen ist ein Instinkt, wie Hegel bemerkt, der das vollbringt, was an und für sich an der Zeit ist. Es sind Heroen, die aus einer Quelle schöpfen, deren Inhalt verborgen und nicht für ein gegenwärtiges Dasein gediehen ist. Sie haben die Einsicht, was not tut und an der Zeit ist. Hegel nennt sie „Die Geschäftsführer des Weltgeistes.“

„Der freie Mensch anerkennt, was Groß und erhaben ist, und freut sich, das es ist.“ (Hegel).

„Die Geschichte liebt es zuweilen, sich in einem Menschen zu verdichten, welche hierauf ihm gehorcht.“ (Jakob Burckhardt).

Das Wesen der Größe besteht darin, jede Stellung nicht nur zu erfüllen, sondern sie zu sprengen. Wo andere konfus werden, da wird der Große erst recht klar. Darum erscheinen Große in Krisenzeiten und Zeiten des Überganges. Dann geschieht in wenigen Jahren, die Arbeit von Jahrhunderten und die Wirkung reicht weit über das eigene Erdendasein hinaus. Große haben Seelengröße. Sie verzichten auf Vorteile zugunsten des Sittlichen. Größe vollzieht einen Willen, der über das Individuelle hinausgeht.  Das kann der Wille Gottes, der Wille eines Zeitalters oder der Wille einer Nation sein.

In Revolutionszeiten entsteht die Sehnsucht nach vergangener Größe. Dann muss es Einer sein (nach vielen Wirrköpfen), der befreit und dann bewundert wird.

Burckhardt bemerkt aber melancholisch:

„Zu gewissen Zeiten herrscht aber der Durchschnitt, kein Platz für Größe, der Mensch wird nur nach Brauchbarkeit taxiert. Dazwischen meldet sich das Begehren nach großen Menschen, wo man mit gewöhnlichen Oberbeamten nicht durchkommt.“

Kierkegaard attestierte in diesem Zusammenhang unserer Zeit eine zermürbende Kraft. Und Burckhart weiter in einem Ton, der wahrhaft für unsere Zeit gelten könnte:

„Nicht jede Zeit findet ihren großen Mann und nicht jede große Fähigkeit findet ihre Zeit. Vielleicht  sind jetzt große Männer vorhanden für Dinge, die nicht vorhanden sind. Jedenfalls kann sich das vorherrschende Pathos unserer Tage, nämlich das Besser leben wollen der Massen, unmöglich zu einer wahrhaft großen Gestalt verdichten. Was wir vor uns sehen, ist eher eine allgemeine Verflachung und wir dürfen das Aufkommen großer Individuen für unmöglich erklären, wenn uns nicht die Krisis sagt, das wir anders denken sollten (nicht nur an unser Wohlergehen) und der Rechte einmal über Nacht kommen könnte. Worauf dann alles hintendrein läuft.

Die Großen sind notwendig, damit die Weltgeschichte einen Ruck macht und uns vom reflektierendem Geschwätz befreien.“

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