Phi­lo­so­phi­sche Seelsorge

Impuls

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…, und du schämst dich nicht, dich darum zu kümmern, wie du zu möglichst viel Geld und wie du zu Ehre und Ansehen kommst, doch um die Vernunft und die Wahrheit und darum, dass du eine möglichst gute Seele hast, kümmerst und sorgst du dich nicht? (Apologie des Sokrates)

Sokrates war einer der ersten Philosophischen Seelsorger, von denen wir wissen. Bei ihm war, was spätere Zeiten trennten, die Sorge um die Vernunft, die Wahrheit und die Seele noch zusammen gedacht. Darum sah er sich auch nicht als Fachmann oder Spezialist, sondern als ein Mensch, der für Menschen zuständig war. Sokrates war kein Spezialist für dies oder das, oder für Kopfangelegenheiten. Bei ihm ging es immer um den ganzen Menschen. Argumente beantwortete er mit Argumenten, Gefühle mit Gefühlen. Er hatte Organe für alles, was den Menschen betrifft. Er kritisierte nicht genau genug hinterfragtes Wissen genauso wie religiöse Überzeugungen. Doch ließ er sich noch von einem Menschenbild leiten, das dem Menschen eine geistige Seele zusprach und ihn nicht nur als Konglomerat von Körper, Psyche und Gehirn sah. Deshalb ist er ein Seelsorger, aber ein solcher, der seinen Verstand nicht vor einer Kirchentür, oder in seinem Fall, vor einem Tempel abgegeben hat. Trotzdem war seine religiöse Kritik von Respekt und Wohlwollen begleitet. Er wusste, dass die meisten Menschen deswegen im Leben scheitern, weil sie denken, wie sie denken, dass sie in ihrem Denken meist von zeitgemäßen Vorstellungen geleitet sind, ohne sich dessen bewusst zu sein. Philosophische Seelsorge in der Haltung des Urahns Sokrates will darüber im besten Sinne aufklären. Jeder von uns lebt nach Maximen, Gewohnheiten, Meinungen, Überzeugungen, Haltungen, wie zum Beispiel: Ich lasse mir nichts sagen, ich bitte um nichts, Ordnung muss sein, ich sorge selber für mich usw. Daraus ergibt sich der gewaltige Umfang der vielfältigen menschlichen Probleme. Wenn ein Leben in Probleme gerät, dann wäre die spannende Frage, wann und unter welchen Umständen soll eine Maxime, eine Überzeugung oder Haltung verändert werden?

Diese Frage bedarf keines Fachmannes, sondern eines „Menschenwissenschaftlers“. Ein solcher bemüht sich der Philosophische Seelsorger zu sein. Um ein weiteres Beispiel zu erwähnen: Der Fachmann behandelt eine Krankheit; der Mensch ist dazu da, dem Menschen in der Bewältigung der Krankheit zu helfen. In diesem Sinne bemerkte Odo Marquard einmal: „Wo der Arzt nichts mehr tun könne, sei der Philosoph gefragt“. Der Philosophische Seelsorger, möchte ich hier ergänzen und präzisieren.  Dieser bedenkt nämlich auch, dass ein Lebensproblem oder eine Lebensfrage ein geistig-seelisches Problem ist, das sich körperlich und psychisch auswirken kann.

Jeder Mensch will sich verstanden wissen. Doch was heißt verstehen? Der Philosophische Seelsorger fragt sich, welches Verstehen muss ich für einen bestimmten Menschen entwickeln? Auf welche Weise muss dieser konkrete Mensch verstanden werden, um ihm gerecht zu werden? Das fachmännische, wissenschaftliche Verstehen hingegen ist ein eingeschränktes Verstehen. Es sieht den Menschen aus psychologischer, sozialer oder politischer Sicht. Wiederum ein Beispiel dazu: Wie versteht sich der Mensch selbst? Der Mensch hat sich darauf in seiner Geschichte die unterschiedlichsten Antworten gegeben. In der Antike sah er sich als stolzer Mensch, für sich selbst verantwortlich, in der Hochzeit der Christenheit als demütiger Mensch, der vor seinem Gott die Knie zu beugen habe, in der Moderne als Opfer von Umständen. Je nachdem, wie ein Mensch von sich denkt, wird er sein Leben bewusst/unbewusst danach gestalten, wird einer Weltanschauung, einer Religion, einer Spiritualität anhängen. Der Philosophische Seelsorger hat den Anspruch, in all den Antworten, die der Mensch sich gegeben hat, so gut wie möglich zu Hause zu sein. So gesehen, bemüht er sich einerseits um die respektvolle Bewahrung der Traditionen, andererseits sieht er sich als deren nachdenklicher Fortführer.

Der Philosophische Seelsorger steht in seinem Anspruch, als Mensch für Menschen da zu sein, in einer langen Tradition. Diese Tradition begann in der griechischen Antike mit Sokrates, geht weiter mit Seneca, Epiktet, Epikur und Plutarch, dann wäre Pascal zu nennen, oder Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard und Wittgenstein. Bei all diesen und vielen anderen, holt sich der Philosophische Seelsorger Anregungen, um seinem Anspruch, als Mensch für Menschen da zu sein, gerecht zu werden. Die Kernfragen, um die es dieser Tradition ging und geht, lauten: Wie werde ich richtig und gut Mensch? Was heißt es, ein gelingendes Leben zu führen? Fragen, die zeitlos gültig sind, sich in unserer Zeit aber vielleicht mit besonderer Dringlichkeit stellen. „Was ist Philosophie“? ist nicht die spannende Frage, sondern: „Wer ist der Philosoph“? Um auf rechte Art und Weise als Mensch für Menschen da zu sein, bedarf es einer Philosophie aus Fleisch und Blut und Seele. 

Sokrates hatte in diesem Sinne keine Philosophie, er selbst verkörperte die Philosophie im besten Sinne.   

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