Wis­sen­schaft – Bildung – Weisheit

Impuls

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 Nietzsche spricht den Zusammenhang und die Differenz zwischen Wissenschaft und Bildung an. Ebenso gibt es Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Bildung und Weisheit. Zugespitzt könnte man fragen: Gibt es so etwas wie wissenschaftliche Bildung? Was ist das Problem der Wissenschaft? Wissenschaft hat ein enges Wirklichkeitsverständnis. In der Regel fällt der Mensch als soziales und kulturelles Wesen aus ihrem Blick. Als Tatsache wird nur anerkannt, was sich messen und methodisch als Gegenstand untersuchen lässt. Wirklich ist im Sinne der Wissenschaft auch nur das, was verständlich und erklärbar ist. Zur Wissenschaft gehören Aufklärung und Rationalität. Aufklärung meint das Hinterfragen, das Verborgene ans Tageslicht bringen. Das Dunkle wird nicht geduldet, damit auch nicht das Rätsel oder der Zauber. Rationalität ist dem Argument verpflichtet. Was nicht argumentierbar ist, ist nichtssagend. Auch das subsumieren des Einzelfalles unter ein Allgemeines, einer allgemeinen Regel, gehört zur Methode der Rationalität.

 „Der wissenschaftlich und der gebildete Mensch gehören zwei verschiedenen Sphären an, die hie und da sich in einem Individuum berühren, nie aber zusammenfallen.“ 

Nietzsche

Unsere Gesellschaft legt sich in der Regel wissenschaftlich aus. Diese ist die Macht unserer Zeit. Auch der einzelne Mensch versucht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu leben. Das macht sich vor allem in der Ernährung und allgemein in Gesundheitsfragen bemerkbar. Das Problem dabei ist, das damit der Mut zur eigenen Lebensgestaltung verloren geht, wenn stets gefragt wird: Was sagt die Wissenschaft dazu?

Was passiert, wenn sich Bildung in den Dienst der Wissenschaft stellt? Bildung untersteht dann dem Spezialisierungszwang. Es entsteht der exklusive Fachgelehrte, der sich an seine Gegenwart und deren Fragen versklavt. Das Diktum von Nietzsche wird damit unterlaufen, der gemeint hat, der Gebildete brauche „zuallererst vor einem Ruhe: vor allem Heute“.  Er habe sich Ruhe vor der „Tyrannei des Heute“ zu verschaffen. Und wie macht er das? Dadurch, dass er in anderen Zeiten und Welten ebenso zuhause ist und frühere Epochen ihm gewissermaßen vertraut geworden sind. Bildung im eigentlichen Sinn hat weder im Dienst der Wissenschaft, noch auch im Dienste des Staates, oder, wie heute sehr verbreitet, im Dienste der Wirtschaft zu stehen. Für letztere bedeutet Bildung auf der Höhe der Zeit zu sein. Der Nutzen der Bildung sei der Geldgewinn. Die Bildungsaufgabe bestehe darin, möglichst gängige, nachgefragte Menschen zu bilden, die sich am Arbeitsmarkt vermarkten lassen. Was ist die Konsequenz? Bildung hat rasch zu erfolgen, um ein schnell Geld verdienendes Wesen zu werden.

Mit Bildung ist jedoch auch nicht die Aneignung von bloßem Wissen gemeint, sondern das Erwerben einer Haltung, die Entwicklung einer freien Persönlichkeit. Ein über sich selbst Hinauswachsen. Die Endabsicht aller Bildung nach Wilhelm von Humboldt sei es, „den inneren Wert eines Menschen so hoch zu entwickeln, dass der Begriff der Menschheit, wenn man ihn von ihm, als dem einzigen Beispiel, abziehen müsste, einen großen und würdigen Gehalt gewänne“. Der einzelne Mensch solle also die Menschheit in würdiger Weise repräsentieren und zu ihrem Besten vertreten.

Wie kann der Mensch seinen höchsten Wert entwickeln? Indem er den höchsten Maßstab an sich selbst anlegt. Einen solchen Maßstab aber zu erwerben, wäre die Aufgabe der Bildung. Die freie Persönlichkeit kann deshalb keine Beliebigkeit sein, weil bei der Entwicklung des Maßstabes jeder von uns von den Überlieferungen und Traditionen abhängig ist.

Und was wäre dann Weisheit? Sicherlich keine „kuhmäßige Stille und Ruhe“ (Nietzsche), aber auch etwas anderes als Aufklärung und Wissenschaft. Nach Hegel wäre Weisheit „eine Erhebung der Seele, die sich durch Erfahrung, verbunden mit Nachdenken, unabhängig von der Meinung der anderen entwickelt“. Weisheit argumentiert nicht, sie steht für das Argument ein. Sie ist kein Marktwissen. Sie spricht aus der Fülle des Herzens. Das denkende Herz wäre eine gute Beschreibung der Weisheit. Wissenschaft kann nicht das innerste Wesen der Welt ergründen, sie weiß nicht, wie der Mensch sein soll. Alle wesentlichen Welträtsel sind ihr verborgen geblieben. Für die Beantwortung der wesentlichen Lebensfragen muss die Wissenschaft durch Weisheit überwunden werden. Nur die Weisheit ist in der Lage, mit unseren Begrenztheiten, unseren Leiden und Schmerzen angemessen umzugehen. Die wahre Bildung ist die Schwester der Weisheit, weil sie über den Tag hinausstrebt und den Geist der Jahrhunderte und Zeitalter atmet. Echte Bildung will hören und verstehen. Sie ist eine erworbene Haltung, die Verfassung einer Person. Der gebildete Mensch hat als freie Persönlichkeit seinen Charakter entwickelt. Er entspricht der berühmten Idee der Menschenbildung, wie Humboldt sie dachte. In diesem Sinne wäre der gebildete, weise Mensch jemand, der ein Verstehen dafür ausgebildet hat, worauf es im Leben letztlich ankommt. Nämlich darauf, wer man ist,  wer man wurde. Das Resultat dieses Werdens aber ist das Resultat der Bildung.

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