Geistige Wende Auf­klä­rung über linke und rechte Be­kennt­nis­se

Impuls

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„Man nennt sie Rechtsradikale oder Neonazis; damit glaubt man zu wissen, was von ihnen zu halten ist. Aber auch hier ist die Ideologie bloße Maskerade. Der jugendliche Mörder, der Jagd auf Wehrlose macht, gibt, nach seinen Motiven gefragt, folgende Auskünfte: „Ich habe mir nichts dabei gedacht. Mir war langweilig. Die Ausländer waren mir irgendwie (!) unangenehm.“ Das genügt. Vom Nationalsozialismus weiß er nichts. Die Geschichte interessiert ihn nicht. Hakenkreuz und Hitlergruß sind beliebige Requisiten.“ (Hans Magnus Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg).

„Der Linke, das weiß man, hat vor allem recht. Er misst sich ja andauernd an seinem Gegenteil, dem Rechten. Und er wäre wohl kein Linker, wenn er nicht glaubte, recht zu haben gegenüber seinem Gegenteil. Aber was den Linken besonders auszeichnet: Er hat nicht nur recht, sondern er ist auch der bessere Mensch. Aber sicher bin ich nicht, dass der Rechte nicht genauso recht hat wie der Linke und sich auch für den besseren Menschen hält.“ (Martin Walser, Deutsche Sorgen).

Linkes und rechtes Denken nehmen uns wechselseitig in Geiselhaft. Sie geben vor, wie wir über Politik, Geschichte und Beziehungen zu denken haben. Schon längst herrscht eine Meinungsdiktatur. Linke und Rechte sagen, wie wir zu denken haben. Souverän ist jeweils das politische Denken, das in der Mediengesellschaft über den Auslegungszustand der politischen Begriffe entscheidet (Botho Strauß). Es herrscht, wer über die Interpretationshoheit verfügt. „Wer Faschist ist, bestimmen heute Journalisten oder Abgeordnete.“ (Botho Strauß). Das Klima wird rauer und gewalttätiger. Das Ende der Gemütlichkeit scheint gekommen. Es ist an der Zeit, über linke und rechte Bekenntnisse aufzuklären und die „Diskursapartheid“ (Botho Strauß) zu überwinden. Was man bräuchte, wer der Mut zum Abkehr vom Mainstream, der sich an unbegriffenen Begriffen orientiert. Mehr den je wäre heute der Außenseiter notwendig, der entschlossen in der Mitte steht. Anstatt die Rechten (oder die Linken) zu verketzern oder zu verteufeln, sollte man den Verachteten zuhören. Man muss den Rechtsradikalen und den Faschismus verstehen (nicht billigen!).

„Wir müssen das Klima ändern, in dem diese Taten möglich werden. Durch weitere verschärfte Ausgrenzung, Dämonisierung und Kriminalisierung tragen wir nur bei zur nächsten trostlosen Tat. Und da ist eine ganze Gruppe Jugendlicher ins Asoziale geraten, nur weil ihr Diskurs (der nach rechts tendierende) überhaupt nicht zugelassen wurde.“ (Martin Walser, Deutsche Sorgen).

Linkem wie rechtem Denken liegt Heilsgeschichtliches zugrunde. Die linke Heilsgeschichte malt ein künftiges Weltreich aus, rechte Heilsgeschichte sucht den Wiederanschluss an vergangene Zeiten. Die Rechten blicken auf die latente Bestie im Menschen, während die Linken den Menschen als von Natur gut ansehen. Dieses Links-Rechts-Schema kann besser verstanden werden, wenn man sich die zugehörigen Staatstheorien ansieht. Thomas Hobbes argumentierte in seinem „Leviathan“ für einen starken Staat, der die schlechten Triebe des Menschen in Zaum zu halten habe (rechte Idee). Für Rousseau durfte der Staat nicht übermächtig werden, weil sonst die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt würde (linke Idee).

Die Linke fühlt sich heute von den Rechten unter Druck gesetzt. Eine Aufklärung müsste versuchen zu verstehen, welche Sehnsüchte die Rechten bedienen, von denen die Linke aber nichts mehr hören möchte: Leben, Seele, Nationalismus Nehmen wir nur den unbegriffenen Begriff Nationalismus. Enzensberger bemerkt:

„Wer nur an das widerwärtig chauvinistische Pathos denkt, von dem sie getragen waren, übersieht leicht die konstruktiven Leistungen des europäischen Nationalismus alter Prägung. Er hat immerhin Konstitutionen hervorgebracht, die Leibeigenschaft abgeschafft, die Juden emanzipiert, den Rechtstaat und das allgemeine Wahlrecht durchgesetzt.“(Aussichten auf den Bürgerkrieg).

Die Rechtsextremen werden nicht dadurch verschwinden, dass wir sie ausgrenzen. Nationalismus ist erst durch Ausgrenzung entstanden. Die Rechten sprechen Sehnsüchte an, die man sich nicht von den Rechtsextremen nehmen lassen sollte. Wenn sie vom Stolz auf ihre Nation sprechen, sollten wir zuerst mit ihnen überlegen, wie es zu diesem Satz kommt. Nation darf weder zu wichtig, noch zu unwichtig genommen werden. Wenn alles Nationale ausgeklammert wird, dann ist der Stolz eine Demonstration, ein Imponiergehabe. Im besseren Fall weist es auf eine berechtigte Sorge hin, die im linken Lager leicht vergessen wird:

„Sie wollen nicht so sein wie wir. Nicht so gut, so fein, so klug, so international, so aufklärerisch, nicht so locker, so brillant und flott und weltgerecht, nicht so geschmacksicher, so gelüftet, so diskurssicher, so… (Martin Walser).

Der linke Konsens, der sich auch der berechtigten Diskreditierung der Rechten, verdankt, hat lange Zeit zu einer Vorherrschaft geführt. Das Erstarken der Rechten ist eine Auflehnung gegen diese Vorherrschaft. Dies zu verstehen müsste auch den Linken zuzumuten sein, gehört doch in ihre Kernkompetenz die Dialektik.

Eine geistige Wende ist nötig. „Nur mit Verteufelung produziert man Teufel.“ (Walser)

 

 

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