Leid tragen und Trost erfahren

Impuls

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„Der Mensch muss mit dem Problem des Leidens fertig werden. Der östliche Mensch will sich des Leidens entledigen, indem er das Leiden abstreift. Der abendländische Mensch versucht, das Leiden durch Drogen zu unterdrücken. Aber das Leiden muss überwunden werden, und überwunden wird es nur, indem man es trägt.“ (C.G. Jung)

Der Titel „Leid tragen“ klingt für moderne Ohren ungewohnt, vielleicht sogar befremdlich. Wann reden wir von den Leidtragenden? Wir bezeichnen Kinder so, wenn sich ihre Eltern scheiden lassen, oder Migranten, die sich auf den Weg in eine neue Heimat machen, Bürger, die der Willkür von Behörden ausgesetzt sind, oder Menschen, die von einer Krankheit geplagt werden. Aber die Sprache ist hier ungenau. Wird denn in diesen Fällen das Leiden tatsächlich getragen, oder gar ertragen? Eher ist doch gemeint, dass die Leidtragenden vom Leid betroffen sind, dass ihnen Schlimmes oder Schreckliches widerfahren ist, oft ohne eigenes Verschulden. Die Redeweise von den Leidtragenden äußert sich in der Regel im Ton der Entrüstung oder Empörung, daher gehört sie nicht zur Sprache der Klage, sondern der Anklage. Hier sollte anstatt  von Leidtragenden vielmehr von Leidbetroffenen gesprochen werden. Betroffenheit fordert zur Anklage und Engagement heraus, vermeintliche Schuldige ausfindig zu machen.

Angesichts des Leidens besteht in der Regel die verständliche Reaktion und zum Empfindung des Gegenwartsmenschen darin, es müsse etwas dagegen unternommen werden, es gelte die Ursachen des Leidens ausfindig zu machen, und gegen sie vorzugehen. Der moderne Mensch sieht sich in erster Linie nicht zur Anteilnahme aufgerufen, das helfen könnte, das Leid zu tragen, sondern zur Teilnahme an der Aktion, die dazu beitragen könnte, Leiden zu verhindern.

Der Imperativ der Moderne lautet: Leiden sei nicht zu erdulden und zu ertragen oder hinzunehmen, sondern Leiden sei abzuschaffen. Ist es überhaupt für den Menschen möglich, alles Leiden aus der Welt zu schaffen? Ist es nicht eher Sache des Menschen, zu lernen mit Leiden umzugehen? So klingt jedenfalls die gesamte philosophische, jüdische und christliche Tradition.

Im Grunde genommen sagt der Imperativ der Moderne etwas Illusorisches und hat außerdem schlimme Konsequenzen. Nämlich, dass alles Leiden, das sich nicht aus dieser Welt hat schaffen lassen, nunmehr als sinnlos erscheint und als unser Versagen, und damit jede Versöhnung mit dem Leiden verunmöglicht und jeder Trost für den Leidenden als falsche Beruhigung denunziert wird.

Dem Leiden wurde der Krieg erklärt. Zuständigkeiten wurden geschaffen. Wissenschaftliche und ärztliche Kompetenz, soziale Organisationen, Therapeuten und Psychiater. Für den Einzelnen, der ins Leid gerät, bleibt allein die traurige Perspektive, sich als Opfer zu verstehen. Die Folge ist: Er versteht sein Schicksal nicht. Denn dieses zu verstehen hieße bereits, es partiell anzuerkennen.

Die uralte Frage „Warum leiden“ hat die Moderne also durch die Aufklärung der Kausalitäten ersetzt. Das Leiden musste geradezu als sinnlos angesehen werden, damit es bekämpft werden kann. Daraus ergibt sich aber: Der Leidende, dem nicht zu helfen ist, muss sein Leiden als sinnloses Schicksal ertragen. So bleibt dem Betroffenen nur, sich in ohnmächtiger und verständnisloser Wut zu verbittern.

Der Philosoph Paul Ludwig Landsberg bemerkt dazu: „Falsch ist nicht der Kampf gegen das Leiden, sondern die Illusion, es abschaffen zu können.“

Leid tragen gehört zur Würde, zum Selbstbewusstsein und zum Wissen der außerordentlichen Stellung des Menschen. Seine besten Traditionen zeugen davon. Diese haben es lange Zeit vermocht, den Menschen in ein anerkennendes Verhältnis  zu seinem Leiden zu setzen. Nietzsche hat das Problem erkannt. Er schreibt in seiner „Genealogie der Moral“: „Nicht das Leiden selbst war sein Problem, sondern dass die Antwort fehlte für den Schrei der Frage wozu leiden.“

Das eigentliche Problem des Leidens ist also die Frage wozu. Der Mensch hat in seiner langen Geschichte immer Antworten darauf gefunden, zu denen uns Modernen der Zugang so sehr erschwert ist.

Zum Beispiel, dass das Leiden als eine Prüfung ausgelegt werden könne, in der der Mensch sich zu bewähren habe und darin eine Fassung erhalte, die ihn recht eigentlich erst zum Menschen mache. Seneca schreibt in diesem Sinne an seinen

Schüler Lucilius: „Gott verzärtelt den guten Menschen nicht, er legt ihm Prüfungen auf, er lässt ihn durch harte Proben hindurch gehen, und so formt er ihn nach seiner Idee.“ Und noch ein Wort von Schopenhauer sei angefügt, der sich mit den dunkleren und tieferen Gemütsverfassungen des Menschen ausgekannt hat:

„Einen sehr stillen Charakter denken wir uns immer mit einem gewissen Anstrich stiller Trauer, die nichts weniger ist als beständige Verdrießlichkeit über die täglichen Widerwärtigkeiten, sondern ein aus der Erkenntnis hervorgegangenes Bewusstsein der Nichtigkeit aller Güter und des Leidens alles Lebens, nicht des eigenen allein.“

Könnte der Leidende, der dem Leid nicht aus dem Weg geht, womöglich der vorbildlichere Mensch sein, der wir unseren Respekt verdient?

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