Salonkultur und Romantik
Impuls
„Unter Europas Intellektuellen galten Rahel Levin, Dorothea Mendelssohn und Henriette Herz als die berühmtesten jüdischen Frauen ihrer Zeit, bekannt für ihren kultivierten Geschmack und ihre engen Freundschaften mit prominenten Nichtjuden“, schrieb Deborah Hertz in „Die jüdischen Salons im alten Berlin.“
In Wien waren Fanny von Arnstein, Karoline Pichler, Berta Zuckerkandl und Alma Mahler-Werfel bekannte Salonieres. Die Berliner und Wiener Salons waren erstaunliche Phänomene. Es waren Orte der Freiheit, in denen über alles gesprochen werden konnte. Man sprach philosophisch über alle interessanten Themen, insofern ist die Philosophische Praxis ein Erbe der Salons.
Das Arnsteinsche Haus war um 1800 zum Mittelpunkt der Gesellschaft geworden. Fürsten, Prinzen, Bischöfe, Gesandte, Gelehrte, Offiziere, Kaufleute, Künstler, Adelige, Bürgerliche, Menschen aller Nationen und Klassen gingen hier ein und aus. Bis zum Wiener Kongress erlebte Fannys Salon eine Blüte.
Eine der berühmtesten, wenn nicht die berühmteste Saloniere, war Rahel Levin, die ihren Salon in Berlin führte. Sie kann als die Begründerin der weiblichen Briefkultur bezeichnet werden.
„Der Brief wird zum imaginären Aktionsort, zur intimisierten Öffentlichkeit, der für all das zu entschädigen hat, was die Wirklichkeit dieser neugierigen romantischen Frauengeneration hartnäckig vorenthält: die Praxis des selbständigen Handelns. Rahel versucht, die Diskrepanz, die zwischen den weiblichen Fähigkeiten und den Möglichkeiten ihrer gesellschaftlichen Verwirklichung lag, in ihren Briefen ästhetisch zu überwinden. So wird der Brief zum utopischen Ort einer möglichen Selbstverwirklichung.“ (Gert Mattenklott, Romantische Frauenkultur).
Rahels Briefe sind ein einmaliges Dokument weiblicher Selbstaussprache – von einer inneren Wahrheit auch noch da, wo scheinbar nur über Alltägliches gesprochen, über Literatur und Theater geistreich und tiefsinnig reflektiert, über Gott und Natur philosophiert wird. Gerade die Mischung des Verschiedensten macht den Reiz von Rahels Briefen aus.
Es geht im Hause Levin äußerlich gesehen eher gemütlich zu, die Konversation steht im Mittelpunkt. Aber was für eine Konversation! Rahel hatte eine Begabung als Saloniere. Sie war tolerant gegenüber allem Menschlichen, konnte jedem Gespräch eine „Wendung bis zur Unart“ erlauben, wodurch eine „wahre Sudelküche des Gesprächs“ zustande kam (Rahel-Bibliothek). Allein Geist und Talent zählten bei ihr. Auf adelige Abstammung legte sie keinen Wert. Zum engsten Umkreis ihres Salons zählten Schleiermacher, Ludwig Tieck, Jean Paul, Dorothea und Henriette Mendelssohn, Heine, Hegel und der berühmte Historiker Leopold von Ranke.
„In leichten, anspruchslosen Äußerungen der eigentümlichsten Geistesart und Laune verbanden sich bei Rahel Naivität und Witz, Schärfe und Lieblichkeit, und allem war zugleich eine tiefe Wahrheit wie von Eisen eingegossen, so dass auch der Stärkste gleich fühlte, an dem von ihr Ausgesprochenen nicht so leicht etwas umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohltätige Wärme menschlicher Güte und Teilnahme ließ hinwieder auch den Geringsten gern an dieser Gegenwart sich erfreuen.“ (Rahel-Bibliothek).
Eine Beschreibung ihrer Persönlichkeit, die als Wink für Philosophische Praktiker gelten könnte.
Das Gelingen eines Gesprächs oder eines Briefes macht sie vom gerade sich ergießenden Augenblick abhängig. Darin zeigt sich ihr romantisches Wesen. In ihrem Mut zur gedanklichen und sprachlichen Offenheit zeigt sich ihr Hang zur Freiheit. Durch ihre jüdische Existenz, zu der sie sich trotz Taufe weiterhin bekannte, blieb sie Zeit ihres Lebens, trotz ihrer Begabung zur Geselligkeit, eine Außenseiterin der Gesellschaft. Sie kritisierte Judentum und Christentum gleichermaßen, hebt aber trotzdem die Pionierrolle dieser beiden Religionen für die europäische Kultur hervor.
Die Salonieres, für die Rahel als besonders herauszustellendes Beispiel steht, waren fast alle später getaufte Jüdinnen. Durch ihre damit verbundene Außenseiterposition brachten sie ein dreifaches Kunststück zustande:
„Indem sie sich von ihren traditionellen, patriarchalischen Familienverhältnissen emanzipierten, trugen sie in einer ebenso entscheidenden wie kreativen Zeit zur Entstehung einer gehobenen Geisteskultur bei und knüpften im gleichen Zuge neue Verbindungen zwischen den Klassen, Religionen und Geschlechtern.“ (Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin).
Die Salons blieben in der deutsch-jüdischen Geschichte eine Ausnahmeerscheinung. Die Notwendigkeit einer keinem äußeren Zweck unterworfenen freien Geselligkeit, als dem edelsten Bedürfnis aller Gebildeten, bleibt bestehen.