Über Michel de Mon­tai­gnes Essay "Die Kunst des Gesprächs" nebst einigen An­mer­kun­gen

Impuls

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„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie ihm einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos, und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles der kleinen Momo, dann wurde  ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören.“ (Momo, Michael Ende).

Das Gespräch ist das Herzstück der Philosophischen Praxis. Ohne die Philosophische Praxis beim Wort zu nennen, schreibt Byung Chul Han in seinem Buch „Die Austreibung des Anderen“: „In Zukunft wird es womöglich einen Beruf geben, der Zuhörer heißt. Gegen Bezahlung schenkt er dem Anderen Gehör. Man geht zum Zuhörer, weil es sonst kaum jemand mehr gibt, der dem Anderen zuhört. Heute verlieren wir immer mehr die Fähigkeit des Zuhörens.“

Das Zuhören ist tatsächlich die Seele des Gesprächs, es ist Geburtshelferschaft im Gespräch, ein Verhelfen, damit alles gesagt werden kann, was der Sache angemessen ist. Zuhören als Stimulans.

Zuhören ist die Grundlage jedes Gesprächs. Eine weitere Tugend des Gesprächs wäre die Eingelassenheit, den anderen zu uns hereinlassen. Sich auf den anderen einlassen. Dazu gehört, dem anderen Zeit und Ruhe zu gönnen, damit er ausreden kann. Der Zuhörer selbst sollte von den eigenen Wünschen, Gedanken und Vorstellungen Abstand nehmen und zu sich selbst auf Distanz gehen.

In einem guten Gespräch findet eine Geburtshelferschaft statt. Dazu bemerkt Nietzsche: „Der eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der andere einen, dem er helfen kann, so entsteht ein gutes Gespräch.“ Sokrates war der erste Meister einer Geburtshelferschaft. Er war fähig, im Gespräch einen Gedanken so lange fest zu halten, bis er sich bewegte. Zu einem guten Gespräch gehört somit auch die Beharrlichkeit, bei der Sache zu bleiben, sich zu konzentrieren. Es ist eine Einübung in Nachdenklichkeit.

Warum aber sind gute Gespräche in unseren Tagen so rar geworden? Liegt es womöglich an nicht mehr gepflegter Nachdenklichkeit und der verloren gegangenen Tugenden des Zuhörens und des sich Einlassens?

Heute verkommt die Kultur des Gesprächs in den Talkrunden, in denen alle wesentlichen Voraussetzungen des guten Gesprächs nicht erfüllt werden.

Michel de Montaigne hat bereits vor über 400 Jahren in seinem Essay „Von der Kunst des Gesprächs“ über Voraussetzungen eines guten Gesprächs und über die eigene Haltung, die es dazu bedarf, Gedanken gemacht. Zum Abschluss dieses Themas möchte ich einige seiner Gedanken anführen:

„Die fruchtbarste und natürlichste Übung unseres Geistes ist, nach meinem Geschmack, das Gespräch.

„Und gleicher Meinung zu sein, ist im Gespräch ein tödlich langweiliger Zustand.“

„Vorgefasste Meinungen fallen bei mir auf einen steinigen Boden und schlagen nur schwer Wurzel.“

„Kein Urteil verdutzt mich, keine Gesinnung verletzt mich, so sehr sie auch der meinen zuwiderlaufe.“ 

“Kein Hirngespinst kann so haltlos und so verstiegen sein, dass es mir nicht durchaus seinen Platz unter den Ausgeburten des Menschengeistes zu verdienen dünkte. ..“ 

“Und wenn mein Geist ihnen nicht seine Zustimmung schenkt, so schenkt er ihnen doch gerne sein Ohr.” 

„Wenn man mir widerspricht, erregt man meine Beachtung, nicht meine Galle. ... 
Ich huldige der Wahrheit und liebkose sie, in welchen Händen ich sie auch treffe.”

„Nicht meine Vernunft ist geschaffen, sich zu beugen und krumm zu machen, meine Knie sind es.”

„Im Übrigen wurmt mich an der Dummheit nichts so sehr wie dies, dass sie so selbstgefällig ist, wie es keine Vernunft vernünftigerweise sein kann. Es ist schade, daß uns die Einsicht verbietet, mit uns selber zufrieden und selbstgewiß zu sein, und uns immer unbefriedigt und unsicher ziehen läßt, während der Starrsinn und die Dreistigkeit der Köpfe, in denen sie hausen, mit Behagen und Zuversicht erfüllen.”

 

 

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