Die Welt­bild­re­vo­lu­ti­on der Ach­sen­zeit

Impuls

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„Karl Jaspers hat mit dem Konzept der Achsenzeit die Aufmerksamkeit auf das Faktum gelenkt, dass sich während einer relativ kurzen Zeitspanne um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends in der Welt der Hochkulturen vom Nahen bis zum Fernen Osten ein kognitiver Durchbruch vollzogen hat. Damals entstehen in Persien, Indien und China, in Israel und Griechenland die bis heute wirksamen religiösen Lehren und kosmologischen Weltbilder. Diese starken Traditionen – Zoroastrismus, Buddhismus und Konfuzianismus, Judaismus und griechische Philosophie – haben einen Wandel der Weltanschauung herbeigeführt.“ (Habermas).

Karl Jaspers bezeichnet in seinem Werk „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ (1949) die Achsenzeit als „Gründungsmythos der Moderne.“ Nach dem Terror des Nationalsozialismus war es das Ergebnis seiner Suche nach der einen großen gemeinsamen geistigen Geschichte über alle kulturellen Grenzen hinweg. Die Entdeckung der Achsenzeit war somit seine philosophische Intervention in therapeutischer Absicht. Die Achsenzeit sollte durch das Aufzeigen des gleichzeitigen Auftretens großer Geister in Ost und West helfen, die Menschheitskrise zu überwinde, Europa seine eurozentristische Perspektive zu relativieren. Der Hochmut und die Selbstsicherheit die das europäische Denken seit der Aufklärung prägen, haben Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei und Rassentheorie mit hervorgebracht. Die Achsenzeit war Jaspers Appell für eine „grenzenlose Kommunikation“ und für einen neuen Humanismus, der nicht nur auf der klassischen Antike beruht, sondern alle Kulturen und Religionen umfassen sollte. Damals wie heute ist dieser Appell das Gebot der Stunde.

Hannah Arendt, die 1948 das Manuskript zu lesen bekam, bemerkte dazu:

„Ja, nun machen Sie einem wieder richtig Lust, ein Weltbürger zu sein, oder richtiger, machen es wieder möglich. Das ist großartig in seiner unbefangenen ursprünglichen Natürlichkeit, in der das gesamte Abendland noch einmal aufleuchtet, und eine Landschaft beleuchtet, die es nicht mehr begrenzt. Die Relativierung des christlich-jüdischen Glaubens aus einer so klaren unerbitterten Tiefe bringt ein wirkliches Fundament für den Begriff der Menschheit und versöhnt im schönsten Sinne des Wortes. Ja, es ist eigentlich, so will mir scheinen, dieses Element der Versöhnung, das Sie jetzt erst wirklich gefunden haben und das nun alles durchdringt.“

Jaspers will an die Wurzel der Menschheit. In der Achsenzeit trennt sich für ihn die Geschichte in ein „Vorher“ und „Nachher“. Die Menschheit, so wie wir sie kennen, bricht in der Achsenzeit durch. Es ist ein säkularer Durchbruch, eine Revolution statt einer Evolution, denn die neuen Vorstellungen von Mensch und Kosmos traten unverbunden und gleichzeitig auf, nicht durch Entwicklung des einen aus dem anderen.

Die Achsenzeit ermöglichte eine geistige Globalisierung: „Konfuzius, Buddha, Zarathustra, Jesaja und Xenophanes hätten sich verstanden.“ (Jaspers).

Die Folgen der Achsenzeit sind zahlreich wie elementar: Die Geburt der Philosophie, Distanzierung vom Mythos, das Denken des Einen (Logos), die Geschichte wird Gegenstand des Nachdenkens, die herrschenden Sitten und geltenden Anschauungen werden hinterfragt, eine Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung kommt auf, der Mensch wird sich selbst zur Frage.

Um das 6. Jahrhundert v.Chr. wurde geboren, was bis heute Gültigkeit hat. Die Menschheit machte einen geistigen Sprung, den Jaspers als Ursprung der Moderne bezeichnet. Es war ein Sprung in die Universalität, ein wirklicher Wendepunkt der menschlichen Geschichte, ein Wandel von Werten und Zielen. Die Abkehr vom Mythos, ein historisches Bewusstsein, eine universalistische Moral bedeuteten eine Weltbildrevolution. „Die goldene Regel“ griff in verschiedenen Kulturen gleichzeitig und unabhängig Platz. Die Achsenzeit war auch der Beginn einer Kritik an der Herrschaft, eine Entsakralisierung der Herrschaft.

Habermas gab dem Achsenzeit-Begriff eine philosophische Ausdeutung, wenn er die Achsenzeit als „kognitiven Schub“ bezeichnete, der zur Entstehung einer Zwei-Welten-Theorie geführt hatte. Einer Unterscheidung von Welt und Gott, von Erscheinung und Wesen. Während vorher die Welt voller Götter war, trat nachher die Welt in eine Spannung mit der Transzendenz. Fortan trennte die Welt ein Abgrund von der Transzendenz, es bedurfte der religiösen Vermittler (Propheten, Priester), um Zugang zur transzendenten Welt zu bekommen.

Was den Menschen zum Menschen macht, entstand in der Achsenzeit. Heute käme es darauf an, eine allgemeingültige Humanität wiederzugewinnen, die in der Achsenzeit erstmals in den Blick geraten ist (Jan Assmann).

Habermas beantwortete die Frage, ob wir uns heute an der Schwelle zu so etwas wie einer neuen Achsenzeit befinden, oder vielleicht schon mittendrin sind, folgendermaßen:

„Der Ausgang ist völlig offen. Mir stellt sich die globale Moderne als eine offene Arena dar, in der aus der Sicht verschiedener kultureller Entwicklungspfade über eine normative Gestaltung der mehr oder weniger geteilten gesellschaftlichen Infrastrukturen gestritten wird.

Es ist offen, ob es überhaupt gelingt, den atavistischen Zustand des sozialdarwinistischen catch what you can, der bis heute in den internationalen Beziehungen herrscht, so weit zu überwinden, dass der global entfesselte und verwilderte Kapitalismus noch gezähmt und in sozial verträgliche Bahnen gelenkt werden kann.“ (Nachmetaphysisches Denken).

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