Dies Irae Eine Ge­schich­te des Welt­un­ter­gangs

Impuls

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Der Weltuntergang hat eine große Vergangenheit und Konjunktur in der Gegenwart. Ob 9/11, Klimakrise oder Corona-Krise, die Welt ist voller Ereignisse, die immer wieder aufs Neue nötigen, vom drohenden Weltuntergang zu sprechen. Aus jüdischen und christlichen Wurzeln erwachsen, wird ein Ende der Geschichte proklamiert, ein dauerhafter Untergang unserer bekannten Welt verkündet. Bis in das 16. und 17. Jahrhundert, für manche Sekten bis zur Gegenwart, blieb diese Frist für christliche Eschatologen wie etwas Martin Luther maßgeblich. Das gesamte Mittelalter reflektierte eine auf ein vorbestimmtes Ende zulaufende Geschichte.

Der Weltuntergang wurde viele Male vorausgesagt und erwartet. Sein Ausbleiben regte den Menschen zu Weltrettungsprogrammen und zur Erforschung der Weltzusammenhänge an. So führte die Verzögerung des Weltunterganges in eine ruhelose Weltgestaltung: Verweltlichung durch Eschatologie. All das geschah aufgrund des Glaubens an ein unerbittliches Ende, an die Auferstehung der Toten zum Gericht. Religion und Wissenschaft sind sich bedingende Kinder. Vernunft und Aufklärung haben sich in Auseinandersetzung mit dem Weltuntergang allmählich herausgebildet. Der drohende Untergang nötigte zu einer ethischen Lebensführung, legitimierte gewissermaßen die Radikalität christlicher Ethik. Weltuntergang verkündete die Endlichkeit der Welt und gleichzeitig wirkte er als Appell zur Gestaltung des Lebens und Erhaltung des Fortbestandes der Welt. So nötigte der Weltuntergang auf Jahrhunderte und bis heute zu höchster Daseinsvorsorge, zu gottesfürchtigem, zu rechtschaffenem, verantwortungsbewusstem Leben.

Die Endzeit drang im Laufe der Jahrhunderte ins kulturelle Gedächtnis der Menschheit ein. Die jüdische Apokalyptik begann während der Babylonischen Gefangenschaft (spätes 6. Jahrhundert v.Chr.). Die Notzeit radikalisierte die Apokalyptik. Auch Jesus verlieh dem jüngsten Gericht seinen einzigartigen Ernst und rief zu Umkehr und Selbstprüfung auf. Hoffnung und Angst wurden in den Botschaften immer verbunden. Der Weltuntergang und seine ängstliche Erwartung gruben sich jahrtausendetief in die westliche Kultur ein. Untergangsberechnungen, Sozialutopien und Revolutionen waren die Folge. Heute nimmt kaum ein Christ – von Sekten abgesehen – Weltuntergang und jüngsten Gericht noch ernst. Die Aufklärung erschütterte den Endzeitglauben, ohne jedoch ihn vollends aufheben zu können. Die Eschatologie begann sich an die neuen Naturwissenschaften anzupassen. Es blieben die Prognosen der Wissenschaften von einem drohenden Weltende. Physikalische Kosmologie triumphierte über die Theologie. Die Astrophysik kennt nur noch Untergänge, ein Planet, eine Sonne, eine Milchstraße nach der anderen verschwindet. Der Untergang aber von Himmel und Erde, von Erde und Sonnensystem, wird aus den eigenen Bedingungen des Universums erklärt. Das Wissen und die Reflexion über den Untergang blieben auch ohne den Glauben als latente Katastrophenerwartung lebendig. Der Untergang droht fortan vom raubtierhaften, verblendeten, besessenen, gierigen und vergnügungssüchtigen Menschen. Trotz aller wissenschaftlicher und technischer Rationalität bleibt eine versteckte Angst, Lust und Sehnsucht nach dem Untergang. Der Weltuntergangsgedanke nistet in unserer Psyche, jetzt aber ohne Hoffnung auf Auferstehung oder Heil. Der Gedanke an den Weltuntergang ist geblieben, ohne Ursprungsvision der Erlösung, der Hoffnung auf Gnade oder Hoffnung auf ein eine bessere Welt. Untergangsangst hat also unsere westliche, christlich geprägte, doch säkulare, von Technik und Machbarkeitswahn getriebene Gesellschaft noch immer im Griff. Zukunftsforschung wird großgeschrieben, die Zukunft kann in Masterstudiengängen studiert werden. Wir wissen viel, aber wir beherrschen nicht, was wir wissen. Was tun? Kein ewiges Heil, keine allgemeinverbindliche Ethik, nur noch der Drang, unser bedrängtes Leben gesund und unseren Wohlstand und Lebensglück einigermaßen zu erhalten. Keine Sehnsucht nach ewiger Seligkeit, kein Vertrauen mehr in ein Jenseits. Gott und Teufel bleiben aus dem Spiel. Soll diese Welt vergehen ohne Verheißung, ohne göttliche Gnade, ohne Gerechtigkeit für alle Ewigkeit, ohne Visionen? Die bestehende Corona-Krise wächst sich zu einer Weltkatastrophe aus. Die verfügbaren Krankenhäuser könnten die Apokalypse einer hohen Ansteckungsrate nicht bewältigen. Ein Wettlauf der Forschung mit den Untergangskräften hat eingesetzt.

Martin Heidegger bemerkt in seinem berühmten Spiegel-Interview von 1966:

„Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige Möglichkeit, im Denken und Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten für die Erscheinung des Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang; dass wir nicht, grob gesagt, verrecken, sondern wenn wir untergehen, im Angesicht des abwesenden Gottes untergehen.“

Martin Heidegger

Das 19. Jahrhundert hat Gott für tot erklärt. Im 20. Jahrhundert hat sich der Mensch mit seinen unseligen politischen Ideologien selbst zum Gott erklärt. Vielleicht führt das 21. Jahrhundert zu der Frage: Was ist, wenn es diesen Gott und damit ein Weltende mit Erlösung doch gäbe? Was würde sich in meinem Leben dann ändern?

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