Hegel und die Phi­lo­so­phi­sche Praxis

Impuls

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Ein Grundsatz der Philosophischen Praxis lautet, dass sich das Leben nicht von selbst versteht, es will und muss gelernt werden. Dieser Grundsatz gilt seit Sokrates und den antiken Philosophen. Das Leben, wenn es denn gelingen soll, muss geführt werden. Ein geprüftes Leben, eines das sich selbst Rechenschaft abverlangt, wie der Meister Sokrates das bedachte, das überdachte Leben nannte, ein Leben, das Respekt verdient, dem wir Achtung zollen.

„Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das, was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jeder ein Kind seiner Zeit, so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfasst.“ 

Hegel

Auch Hegel steht in dieser Tradition des Philosophieverständnisses, daher kann die Philosophische Praxis viel von Hegel lernen. Er ist der Philosoph der Freiheit. Freiheit ist das treibende Element in seiner Philosophie. Daher lautet sein Credo: „Philosophieren heißt frei denken und frei leben lernen.

In dieser Tradition steht auch Montaigne, der in seinen Essays schreibt:

„Unser großes und herrliches Meisterwerk ist: richtig leben. Alle anderen Dinge, Herrschen, Schätze sammeln, Bauen, sind höchstens nur Anhängsel und Beiwerke.“

Das Leben ist also ein Werk, das jeder an sich selbst zu vollbringen hat. Nun monierte schon Kant, dass Menschen Lebensführung gar nicht so gerne haben. In der Unmündigkeit stecken zu bleiben, sei für viele Menschen so bequem, so der Königsberger Philosoph.

Frei denken im Dienste eines gelingenden Lebens ist Tradition einer Philosophie, die sich dem Leben verpflichtet fühlt, seit der Antike. Auch der Romantiker Novalis schreibt:

„Wer weiß was philosophieren ist, weiß auch was leben ist. Und umgekehrt.“

Die Erwartung an den Menschen lautet mündig werden. Nicht nur an das Kind richtet sich die Erwartung, auch an den Erwachsenen. Dieses Mündigsein gilt für Hegel auch der Zeit gegenüber. Wir sind alle Kinder dieser Zeit, d.h. wir unterliegen dem Zeitgeist, dem was an der Zeit ist, wie wir zu denken und zu handeln haben. Medien und peer groups haben uns an der Angel. Davon können wir uns befreien, indem wir uns unserer Anpassung bewusst werden.

Die Philosophie muss daher die Zeit, die moderne Gesellschaft verstehen und bedenken. Philosophie ist nötig, um über die herrschenden Bedingungen aufzuklären, nicht um sie loszuwerden, sondern um zu verstehen, was sie von uns verlangen und was uns bindet. Die herrschenden Verhältnisse binden uns mehr als die Herkunftsfamilie. Daher geht es in der Philosophischen Praxis nie nur um die individuellen Privatverhältnisse des Gastes, sondern immer auch um die Beachtung der Zeit und der Umstände, in der er lebt. Der Mensch versteht sich letztlich nur, wenn er die Zeit versteht, in der er lebt.

Was aber heißt es, die eigene Zeit zu verstehen? Es heißt nach Hegel, sie in ihrer eigenen Vernunft zu begreifen. Es heißt, die Vernunft der Verhältnisse zu begreifen. Auch missliebige und grauenhafte Verhältnisse haben ihre Vernunft, die verstanden werden kann. Verstehen heißt jedoch nicht, gut zu heißen. Jede Vernunft ist nur eine partielle Vernunft. Es gilt, die Einseitigkeiten, Beschränkungen und Grenzen des eigenen Verstehens aufzuzeigen. Der geniale Philosoph Pascal hat das in seinen Pensees so ausgedrückt:

„Wenn man mit Erfolg entgegnen und einem anderen aufzeigen will, dass er sich irrt, muss man darauf achten, von welcher Seite er die Sache ansieht. Denn von hier aus gesehen, ist sie meist wahr; und diese Wahrheit muss man ihm zugeben, ihm dann aber die Seite aufzeigen, von wo aus sie falsch ist. Damit wird er zufrieden sein, denn er sieht, dass er sich nicht täuschte und dass er nur versäumte, sie von allen Seiten zu sehen.“

Jeder von uns sieht nie die ganze Wahrheit, bei jedem Denken wird etwas ausgeschlossen, damit es für uns schlüssig ist. Die Wahrheit ist aber mit vielen Widersprüchen angereichert, die es zu bedenken gilt. So wird in der Philosophischen Praxis über das eigene Denken aufgeklärt, der Gast mit seinem eigenen Denken bekannt gemacht und die Einseitigkeit aufgehoben.

Ein Lebensproblem, unter dem ich leide, ist in erster Linie ein Verstehens-Problem.

Der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk sagt dazu:

„Ein verstandenes Gewicht trägt sich aber anders als ein Gewicht, das einem nur auferlegt und nicht verstanden wird. Schwere Erlebnisse können auch Schwangerschaften sein: Man ist mit etwas beschwert oder von etwas beschwert, und man kann auch entbunden werden. Deswegen hat sich Sokrates als männliche Hebamme charakterisiert. Zur Schwere des Lebens gibt es nicht nur eine  medizinische, psychologische, therapeutische, sondern auch eine philosophische Antwort. Ohne Pille und ohne psychiatrische und psychologische Manipulation.“

Jeder Mensch hat schmerzhafte Wendepunkte in seinem Leben. Wer solche Tiefpunkte hat, braucht einen Reifungsschritt, aus dem man gut herausgeführt wird. So kann das Widrige und Belastende selbst zu einem Moment der Heilung werden.

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