Wie man einen Roman phi­lo­so­phisch liest

Impuls

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In den unlängst erschienenen Sonderblättern der „Zeit“ zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane hieß es: „Fontanes Gedankenwelt hat uns so viel zu sagen, weil sie von jenen Ambivalenzen durchzogen ist, mit denen auch wir uns noch quälen. Er kann uns lehren, dass es zu einem bürgerlichen Leben gehört, mit Widersprüchen zu leben. Dass es keine allein selig machenden Wahrheiten gibt. Dass ein Leben reicher ist als ein doktrinärer Standpunkt. Dass man dem Neuen gegen über aufgeschlossen sein und doch am Alten hängen kann.“

Diesem Urteil ist nicht zu widersprechen. Gerade Fontanes großer Altersroman „Der Stechlin“ ist ein großer Versuch, wie man mit Widersprüchen umgehen kann, ohne den anderen nieder zu brüllen oder faule Kompromisse einzugehen. Die Aktualität einer solchen Anleitung liegt auf der Hand.

Solch eine Anleitung entspringt einer literaturwissenschaftlichen Lesart. Diese fragt bei Fontane beispielsweise, ob der Roman der Epoche des Realismus entspricht, einer Epoche der deutschsprachigen Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Oder es wird nach dem Problem des Verhältnisses von Realität und literarischer Fiktion gefragt. Man spricht dann vom „Poetischen Realismus“, einer Verklärung der Wirklichkeit, der dem Realismus innewohnt.

Die Wirklichkeit im Sinne des Realismus wird vor allem als gesellschaftliche, nicht mehr als transzendente oder religiöse Wirklichkeit, aufgefasst. Die Gesellschaft fängt an, die alles bestimmende Macht zu sein. Das war in religiösen Zeiten noch anders.

Die Romane Fontanes schildern Menschen im Konflikt mit der Gesellschaft, die als unbarmherzig gezeigt wird, wenn man sich ihren Konventionen nicht unterwirft. Die Gewalt der Gesellschaft wird durch Menschen sichtbar, die von ihren Normen abweichen. Die Gesellschaft wird gewissermaßen nicht abgebildet, sondern durch deren Abweichler bloßgestellt. Fontane zeigt reine, unbescholtene Menschlichkeit vor erstarrten, eingerosteten Verhältnissen. Seine abweichenden Figuren können gesellschaftlich oder psychologisch nicht erklärt werden. Sie sind keine Repräsentanten der Gesellschaft, sondern Menschen, die ihr Schicksal meistern und bestehen. Sie haben eine Sonderstellung, die in der Literatur immer auch als „schöne Seele“ oder „glückliche Natur“ bezeichnet wurden.

Damit kommen wir zu einer philosophischen Lesart, die man als „Kritik des Menschen“, eine Anleitung, Menschen zu unterscheiden, nennen könnte. Eine Urteilsbefähigung, um Menschen, die unsere Achtung verdienen, von Menschen, die mehr scheinen als sie sind, zu unterscheiden. Ihr hoher Anspruch auf Menschlichkeit kann nicht erklärt werden, sie hat den Zauber der Unerklärlichkeit. Sie können sich nur selbst erklären, dann könnten sie von einem aufmerksamen Zuhörer verstanden werden. Für eine Anleitung, Menschen zu unterscheiden, eignet sich der kleine Roman „Irrungen und Wirrungen“ des Jubilars Fontane. In ihm kommt die überzeugendste Frauengestalt vor, die Fontane je geschaffen hat, nämlich Lene, die einfach, wahrhaftig und von feiner Schlichtheit ist. Und andere Figuren, die die Fähigkeit entbehren, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, wie Käthe.

Im 17.Kap. heißt es dazu: „…dass mit Käthe wohl ein leidlich vernünftiges, aber durchaus kein ernstes Wort zu reden war. Sie war unterhaltlich und konnte sich mitunter bis zu glücklichen Einfällen steigern, aber auch das Beste, was sie sagte, war oberflächlich und „spielrig“, als ob sie der Fähigkeit entbehrt hätte, zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Und was das Schlimmste war, sie betrachtete das alles als einen Vorzug, wusste sich was damit und dachte nicht daran, es abzulegen.“

Käthe ist im Gegensatz zu Lene die reine Oberflächlichkeit. An einer Stelle des Romans heißt es: „Sie hat Zähne wie Perlen und lacht immer.“

Käthe ist die moderne Egoistin, sie denkt immer nur an sich, das was sie interessiert, verdient eigentlich kein Interesse, weil es nicht zu denken gibt. So war sie auch nicht betrübt, als sich keine Kinder einstellten, denn „sie lebte so gern und fand an Putz und Plaudern, an Reiten und Fahren ein so volles Genüge, dass sie vor einer Veränderung ihrer Häuslichkeit eher erschrak, als sie herbeiwünscht. Der Sinn für Familie, geschweige die Sehnsucht danach, war ihr noch nicht aufgegangen.“

Die Käthes sind heute überall anzutreffen, man erkennt sie an ihren Interessen, sie sind ein Teil der Masse und Menge. Es sind Menschen, die sich auch nicht verändern wollen, die bleiben wollen, wie sie sind.

Lene hingegen „hatte die glücklichste Mischung und war vernünftig und leidenschaftlich zugleich. Alles was sie sagte, hatte Charakter und Tiefe des Gemüts. Arme Bildung, wie weit bleibst du dahinter zurück.“

Ist es nicht das, was wir an einem Menschen schätzen? Dieser führt ein Leben, das sich sehen lassen kann. Es ist ihm nicht egal ist, worauf es letztlich ankommt.

Fontane zeigt uns in seinen Romanen solche Ausnahmemenschen vor dem Hintergrund von Allerweltsmenschen, die den Zeitgeist repräsentieren. Das aufzuzeigen, ist die Absicht einer philosophischen Lesart. So wird ein Roman zu einem Abenteuer des Geistes.

 

 

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