Der Ausnahmemensch Sören Kierkegaard Dichter, Beter und Denker
Impuls
Er war eine Jahrhundertgestalt, seine Größe und sein Einfluss kann man kaum übersch.tzen. Ein Grenzgänger zwischen Literatur, Philosophie und Religion. Er stand für ein Christentum, das erschüttert und verunsichert. Indem er den Einzelnen in den Mittelpunkt stellte, kommt er auf ein Verständnis dessen, was es heißt, Mensch zu sein. Wie und als was der Einzelne sich verstehen will, ist eine Frage, die sich jeder in seinem Leben stellen muss. Für Kierkegaard war die existentielle Entscheidung für das eigene Leben der Ernstfall. Er wusste, wie sehr Menschen Irrtümern unterliegen und in Selbsttäuschungen gefangen sind:
„Ein Denker errichtet ein ungeheures Gebäude,
ein System, welches das ganze Dasein und die
Weltgeschichte umfassen – und wenn man sein
persönliches Leben betrachtet, dann entdeckt
man mit Erstaunen das Entsetzliche und
Lächerliche, dass er selbst diesen ungeheuren,
hoch gewölbten Palast nicht persönlich bewohnt,
sondern eine Hundehütte“.
Wir werden uns mit seinem genialen Jugendwerk „Entweder – Oder“ beschäftigen, das ihn über Nacht berühmt machte. In diesem Werk stellt Kierkegaard die Lebensweise eines Ästhetikers die Existenzform eines Ethikers gegenüber. In meisterlicher Form beschreibt er einen Verführer und macht sich Gedanken über die Ehe. In seinen „Stadien auf dem Lebensweg“ werden wir der religiösen Existenzform begegnen, die in Ausnahmesituationen das Ethische zu suspendieren vermag. Wir werden uns der Plausibilität dieses radikalen Denkens widmen.
Kierkegaard war wie Nietzsche ein „Unzeitgemäßer“, der sich die Frage stellte, wie man den „Forderungen der Zeit“ entkommen kann. Entscheidend ist für ihn die Kategorie des Einzelnen, die gemeinsam mit der gelebten Religion für Zeitgeistresistenz sorgt. Der moderne Mensch ist für ihn an die Zeit verfallen, weil er kein religiöses Bewusstsein mehr hat. Die Krise der Moderne ist für Kierkegaard eine Krise des Religiösen, wie er in der erschütternd treffenden Zeitdiagnose, mit dem lapidaren Titel „Eine literarische Anzeige“, ausführt. Seine „Erbaulichen Reden“ sind lange unbeachtet geblieben, doch sie sind von einer stärkenden Geradlinigkeit, indem sie zum Ernst des Lebens aufrufen. Wir werden uns einige seiner unkonventionellen „Predigten“, die nicht so genannt werden durften, ansehen. Einiges muss natürlich auch zur Existenzphilosophie gesagt werden, als dessen Vordenker Kierkegaard gilt. Dann lohnt eine Beschäftigung mit seinem Tagebuch, das mir besonders lieb ist als Stichwortgeber für die Philosophische Praxis.